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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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den feinen Geschäften, das wuchtige Gebäude des Hauptbahnhofs mit all seinen Rolltreppen und Unterführungen an ihrem Ende; in knapp zwei Stunden sollte ich von hier abfahren.
    Vor vielen Jahren war ich zum ersten Mal in diese Stadt gekommen. Damals lag überall Schnee. Ich war mit dem Zug quer durch Deutschland in die Schweiz gefahren, hatte mit einem Gemisch aus Widerwillen und Grauen durch das Wagenfenster die blutroten Fahnen mit dem schwarzen Hakenkreuz in der Mitte an den Häusern in der glitzernden Winterlandschaft betrachtet, hielt die Lippen fest zusammengepreßt, als ob jedes Wort, ja selbst ein flüchtiger Gruß verraten könnte, warum ich diese Reise unternahm und wen ich in Zürich treffen wollte.
    Nachdem ich glücklich angekommen war, an demselben Bahnhof, allerdings noch ohne Rolltreppen und Unterführungen – und mit dem Schauspieler WolfgangLanghoff und seiner Frau Renate, dem Schriftsteller Ludwig Renn und einigen neuen Freunden in der Wohnung des Ehepaars Langhoff am Mythenquai am Kaffeetisch saß, wich meine nervöse Spannung. Die Entdeckung einer neuen Stadt, das ganze Abenteuer dieser Reise ergriff von mir Besitz, begann wie ein Schluck guten Weins in mir zu prickeln. Zürich war damals der Zufluchtsort von im Reich verfolgten und aus dem Reich geflohenen Künstlern, vornehmlich Schauspielern und Literaten. Wie ungewöhnlich sind doch diese Menschen, dachte ich respektvoll, und was hatten sie nicht schon alles hinter sich! Dem schlanken Langhoff hatte man im Konzentrationslager Esterwegen die Zähne eingeschlagen (». . . und jetzt versuch deinen Quatsch von der Bühne zu verzapfen . . .«), und von dort hatte er das Lied der Moorsoldaten mitgebracht, das bald zu einer Art Hymne aller Antifaschisten wurde. Der bebrillte und ältere Hagestolz Ludwig Renn mit der leisen Stimme, der als Arnold Friedrich Vieth von Golßenau auf die Welt gekommen ist, war nach Haft und geglückter Flucht erst vor wenigen Tagen aus Deutschland eingetroffen. Renate erzählte, wie ihr Hans Otto während ihrer Krankheit geholfen hatte, als sie in Deutschland allein geblieben und ihr Mann hinter Stacheldraht gefangen war. Dieser hochbegabte Schauspieler ist dann selbst durch die Nazis umgekommen.
    Ich war zum ersten Mal in Zürich, nur für wenige Tage, und begierig, möglichst viel von dieser – wie mir schien – geruhsamen Stadt in dem so unruhigen Europa der dreißiger Jahre kennenzulernen. Wenn ich am Seeufer spazieren ging und über mir die Möwen kreischten, hätte ich am liebsten vergessen, warum ich hergekommen war. Es gab damals Pläne für die Errichtung einesantifaschistischen deutschen Theaters in Prag, nachdem ein ähnliches Vorhaben in Moskau am bürokratischen »Njet!« und dem unverständlichen und unerhörten Vorgehen des Polizei- und Justizapparates gegenüber den schon angereisten deutschen Schauspielern gescheitert war. Wolfgang Langhoff hatte vor kurzem während eines Aufenthaltes in Prag initiativ und mit vollem Einsatz seiner Erfahrungen an diesem Plan mitgezimmert. Ihm sollte ich in dieser Sache Verschiedenes bestellen. In meinen wenigen Schweizer Tagen wollte ich tunlichst auch nicht an die winzigen Heftchen auf hauchdünnem Zigarettenpapier in meiner Reisetasche denken, die ich hierher gebracht und, wie vorgesehen, weitergegeben hatte. Sie waren für den Widerstand in Deutschland bestimmt. All das hätte ich jetzt gern ein wenig vergessen. An all das mußte ich dennoch fast unentwegt denken. Und doch war ich hier glücklich und mit meinen Freunden vergnügt.
    Wenn ich mit diesen Menschen im Café Pfauen hinter dem Schauspielhaus saß, ging es bei dem lebhaften Gespräch immer wieder auch darum, was man gegen das schreckliche Geschehen im Hitlerreich tun sollte. Niemand in dieser Runde dachte daran, sich mit dem Schicksal Deutschlands – es war ja auch das künftige Schicksal Europas, das war allen bewußt – abzufinden. Langhoffs Buch »Die Moorsoldaten« lag bereits, übersetzt in viele Sprachen, in den Buchhandlungen verschiedener Länder auf dem Ladentisch. Der Autor war inzwischen auf die Bühne zurückgekehrt, war wiederum Schauspieler.
    Die schlimmen Erfahrungen ließen sich jedoch nicht so schnell abschütteln. Eines Nachts begann Ludwig Renn fieberhaft aus dem Gedächtnis die Gedichte niederzuschreiben,die er während seiner Gefangenschaft verfaßt hatte. Mit einem Mal überfiel ihn die Angst, er könnte sie vergessen.
    Ich kam aus Prag und nahm erregt an allem teil, das mir hier

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