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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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unerhört, sie werde sich beschweren . . .
    Da salutierte der Schutzmann, nahm die zitternde Frau neben sich behutsam am Arm und führte sie fort. »C’est elle«, wiederholte diese fassungslos, »sie ist es. Eine solche Ähnlichkeit gibt es nicht.«
    »Phantastisch«, sagte der Mann mit der Pfeife. »Woher weißt du das alles?«
    »Ein slowakischer Journalist hat die Sache aus Paris gebracht. Ich habe seinen Artikel gelesen.«
    »Nichts ist phantastisch.« Der Mann am Steuer blickte konzentriert auf die dunkle Straße vor sich, aber sein Gesicht war nicht nur deshalb so angespannt. »Solche Schweinereien sind doch vorgekommen. Immer noch laufen genug Typen dieser Sorte ungeniert auf der Welt herum. Adolf Eichmann war ein größeres Tier, und wie lange hat es gedauert, ehe sie ihn gefunden haben?«
    Mit einemmal war ich sehr müde. Ich lehnte mich auf dem Sitz zurück und schloß die Augen. Gab es die Mory noch, oder gab es sie nicht mehr? Und lag eigentlich so viel daran? Die Frau wäre heute über sechzig Jahre alt geworden. Meine kleine Schwester ist nie zweiundzwanzig Jahre alt geworden. Sie hat Paris niemals gesehen, wußte nicht, wie der Frühling im Jardin du Luxembourg duftet. Sie hat auch die Schweiz nicht gekannt, dieses blitzsaubere Land, in dem die Straßenbahnen aussehen wie große Milchkannen. Sie ist tot, endgültig, unwiderruflich tot, und falls die Mory noch lebt . . . Eine Frau, die zweimal zum Tode verurteilt wurde. Die sich in einen Schrank gehockt hat, um Menschen zur Strecke zu bringen. Die in Nr. 10 eine Peitsche an der Wand hängen hatte. Polinnen können krepieren, Jüdinnen können auch krepieren. Die Injektionsnadel der Mory, die weißen Pillen der Mory. Die Goebbels persönlich gekannt, Heydrich in drei Wochen soweit hatte . . .
    »Schläfst du?«
    »Nein.«
    Jetzt war ich nicht einmal mehr imstande, die Augen zu öffnen. Etwas Weiches fiel mir in den Schoß. Der Schaleiner der beiden Männer. Ich schob ihn unter den Kopf. Falls die Mory noch lebt, möchte ich ihr noch einmal begegnen.
    Ich würde in die Schweiz fahren und in Bern in einem kleinen Hotel absteigen.
    »Wie lange wünschen Madame bei uns zu bleiben?«
    »Das weiß ich noch nicht«, würde ich antworten, »das hängt davon ab, wie schnell ich meine Angelegenheiten hier erledigen kann.«
    Dann würde ich einen Spaziergang durch die Stadt machen. Vielleicht würde es regnen, aber in den Berner Laubengängen würde mich das nicht weiter stören. Am hohen Ufer der Aare würde ich einen Augenblick stehenbleiben und hinunterschauen auf das grüne Wasser mit den weißen Schaumkämmen. Dann würde ich wieder zurückschlendern. Beim Münster würde ich von neuem stehenbleiben, vielleicht auch eintreten und langsam das schmale, hohe Kirchenschiff durchschreiten. Wenn jedoch zufällig die Orgel erklänge, würde ich schnell wieder dem Ausgang zustreben. Wir pflegten in Prag gemeinsam Orgelkonzerte zu besuchen, meine kleine Schwester und ich.
    Dann würde ich das Rathaus aufsuchen, das schöne gotische Rathaus von Bern, über dessen Aufgang seit eh und je drei Glocken hängen. Ich würde sie ein Weilchen betrachten und dann die steile Treppe emporsteigen und in der Eingangshalle einen Beamten nach einer bestimmten Adresse befragen.
    »Nehmen Sie bitte Platz, meine Dame«, würde er höflich sagen, »ich will gleich mal nachsehen.«
    Und dann würde ich warten und in den Zeitschriften über die Schönheiten des Berner Kantons blättern, um meine Erregung zu verbergen.
    »Bitte sehr«, würde der Beamte nach ein paar Minuten sagen und mir einen Zettel reichen, auf dem in peinlich leserlicher Handschrift die von mir gesuchte Adresse stünde.
    »Danke bestens.«
    Ich würde den Zettel in meiner Handtasche verstauen, einige anerkennende Worte über die Baudenkmäler der Stadt verlieren und dann mit einem freundlichen Lächeln wieder gehen.
    Im Hotel würde ich bitten, man möge mir einen Tee und ein paar Scheiben geröstetes Weißbrot aufs Zimmer schicken, ich wäre müde und möchte bald schlafen gehen. Nein, danke, nicht wecken, ich müßte nicht so bald hinaus. Und dann würde ich wirklich versuchen, möglichst lange und ruhig zu schlafen, was wohl ohne eine oder zwei kleine Pillen kaum ginge.
    Am nächsten Morgen würde ich baden und sorgfältig Toilette machen. Wahrscheinlich würde meine Wahl auf das hochgeschlossene graue Wollkleid mit dem schmalen, türkisblauen Kragen fallen. Ich würde im Frühstückszimmer des Hotels einen Kaffee

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