Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
geboten wurde, insbesondere an dem so selbstverständlichen Zusammensein guter Freunde, von denen mancher den anderen erst vor wenigen Wochen oder gar nur Tagen kennengelernt hatte. Jetzt war auch ich ein Teilchen dieser Gemeinschaft, so jung und unerfahren ich auch war. Ich bemühte mich ehrlich, die Fülle der Einfälle und Pläne, die mich umschwirrten, in meinem Kopf festzuhalten. Bei all dem ruhelosen Treiben, der Geschäftigkeit in und um das Theater, den literarischen Diskussionen, die ich begierig anhörte, und den mitunter halb geflüsterten illegalen ins Dritte Reich zielenden Vorhaben, fand man noch Zeit, sich ein wenig um mich zu kümmern.
So führte man mich z. B. eines Abends in das Cabarett Cornichon. Hier imponierten mir der junge Robby Trösch und seine ebenso jungen Kollegen ungeheuer mit ihrem frechen und dabei immer künstlerischen Draufgängertum. Ein andermal zeigten mir die deutschen Emigranten in der Spiegelgasse das Haus, wo der russische Emigrant Lenin und seine Frau Krupskaja in ihrer Exilzeit monatelang gewohnt hatten. In der Froschgasse durfte ich in der Buchhandlung Pinkus nach Herzenslust in den vollgepferchten Regalen stöbern. Ich wurde auch zu einem Besuch beim Verleger Emil Oprecht mitgenommen. Bislang war er für mich ein oft erwähnter Name gewesen, jetzt nahm er handfeste Gestalt an.
All das war der Einblick in eine Welt, für die sich jedes Risiko lohnte, nicht nur eine Reise durch das gefährlicheDeutschland. Ich bewunderte diese entschlossenen Menschen, die, so schien es mir, gleichzeitig mit einem Auge zu lachen und mit dem anderen zu weinen verstanden, ich wollte so entschlossen sein wie sie, wollte nichts Geringeres, als mit ihnen eine bessere Welt zu schaffen.
Aber vorerst genoß ich Zürich, diese Stadt, die in vielerlei Hinsicht ganz anders war als mein Prag. Wenn ich hier durch die Straßen schlenderte, staunte ich, daß alles so sauber, ordentlich und wohlgeregelt wirkte, die Menschen, die blau-weiß angestrichenen, gigantischen Milchkannen ähnelnden Trambahnen, selbst der silbrig schimmernde See. Bis dann eines Abends plötzlich ein Schneesturm ausbrach, den Verkehr in der ganzen Stadt im Nu völlig lahmlegte, die Menschen von den Straßen jagte und den so lieblichen See zu ungeahnter Wildheit aufpeitschte. Am nächsten Tag stapfte ich durch Schneeverwehungen zum Bahnhof.
Diesmal regnete es an meinem Abfahrtstag. Eine Freundin brachte mich zum Zug. »Du fährst mit dem Franz Schubert«, sagte sie, als wir, das Gepäckwägelchen vor uns schiebend, den richtigen Bahnsteig suchten.
»Wie bitte?«
»Das hast du noch nicht festgestellt?« fragte sie lachend.
»Der Vormittagszug Zürich-Wien trägt den Namen Franz Schubert, der Abendzug heißt Wiener Walzer.«
»Wien bleibt Wien«, antwortete ich, nun gleichfalls lachend.
»Hat es das zu deiner Vorzeit noch nicht gegeben?« erkundigte sich meine Freundin.
»Ich glaube nicht. Als ich in den dreißiger Jahren herzukommenpflegte, hat es hier allerhand noch nicht gegeben, was heute gang und gäbe ist.«
»Zum Beispiel?«
»Jugendkrawalle. Oder die Bummelstraße mit den Mädchen in schwarzen Strumpfhosen und weißen Kurzpelzchen rings um die vielen neuen Lokale. Wahrscheinlich hat sich das damals anderswo und auch etwas anders abgespielt. Dann gibt es jetzt viele neue Galerien, und wahrscheinlich ist in der Kultur überhaupt mehr los.«
»Man behauptet allerdings, daß die dreißiger Jahre in Zürich eine Art Blütezeit der Kultur waren«, bemerkte meine Freundin.
»Das stimmt ja auch. Obwohl es damals gar nicht einfach war, in der Schweiz Asylrecht zu erhalten. Selbst bekannten Persönlichkeiten wurde es oft verweigert. Aber am Schauspielhaus war eine ganze Reihe großartiger Schauspieler engagiert, die Giehse, Langhoff, Paryla, an alle kann ich mich gar nicht mehr erinnern.«
Inzwischen hatten wir meinen Wagen gefunden, auch das Abteil und meinen durch eine Platzkarte reservierten Fenstersitz. Nachdem ich mich installiert hatte, kehrte ich zu meiner Begleiterin auf den Bahnsteig zurück, wir plauderten noch ein bißchen, erst als das Abfahrtszeichen gegeben wurde, stieg ich wieder ein und nahm an meinem Fenster Platz.
Gleichzeitig mit mir betrat ein älteres Ehepaar das Abteil. Die Frau war unscheinbar, in einem beigefarbenen Kostüm, der Mann schmalgesichtig, mit schütterem, leicht angegrautem Haar und einer Hornbrille auf der Nase. Sie hockten still wie zwei große graue Vögel in ihrer Ecke an der Tür,
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