Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Schubert gewiß auch einen Speisewagen mitführte. Mit einem Schlag verspürte ich geradezu unbändigen Kaffeedurst. Das war es! Ich brauchte einen Kaffee. Ich langte nach meiner Handtasche und begab mich in das fahrende Restaurant.
Nur wenige Tische waren besetzt, ich fand einen angenehmen Platz in der Fahrtrichtung. Zwei Jugoslawen in grellbunten Pullovern am Tisch hinter mir unterhielten sich ungeniert über Frauen und im Zusammenhang damit über die vor kurzem beendete Wintersportsaison. Ich bestellte Kaffee und Kuchen und konnte der Versuchung nicht widerstehen, dem Gespräch hinter mir eine Weile zuzuhören. Es machte mir Spaß, daß die beidenMänner glaubten, völlig unter sich zu sein, weil sie natürlich nicht wissen konnten, daß ich ihre serbisch geführte Unterhaltung verstand. Ein älterer Italiener links von mir lächelte mir, der einzigen Frau im Wagen, galant zu und machte sich dann gleich wieder mit offenkundigem Vergnügen über seine Schinkenomelette her. Der Kaffee schmeckte schon ein wenig nach Wiener Kaffeehaus, ebenso wie die fast schwarze Schokoladentorte mit einer Haube aus steifer Schlagsahne. Schubertsche Liebenswürdigkeit auch im Speisewagen!
Vor dem Fenster zog Österreich vorbei. Kinder auf Fahrrädern, flinke kleine Autos und anspruchsvolle Transportkarren, Frauen und Männer im Lodenkostüm. Das erinnerte mich an den Hubertusmantel meines Gegenübers in unserem Abteil.
Wahrscheinlich war der Mann ein durchaus harmloser Reisender, dem ich einen ungewöhnlichen Blick zuphantasiert habe. Generationsbedingte Belastung, das weiß ich doch. Schließlich ist man nicht immer und überall von Feinden umstellt. Jahrzehnte nach dem Krieg und der ganzen Katastrophe. Nur dieser Blick . . .
Ich zahlte und kehrte in mein Abteil zurück.
Die Zusammensetzung der Fahrgäste hatte sich dort inzwischen wieder ein wenig verändert. Zwischen dem schweigsamen Ehepaar und meinem Gegenüber saß nun eine fröhlich um sich blickende, etwa fündunddreißigjährige Frau im klassischen Kostüm, auf dem Schoß eine Tüte mit Bonbons, an denen sie pausenlos knabberte. Als ich eintrat, grüßte sie mich freundlich und hielt mir sogleich ihre Süßigkeiten entgegen. Ich dankte und merkte dabei, daß meine Rückkehr offenbar eine Unterhaltung unterbrach. Um nicht weiter zu stören, verdrückte ich mich schnell in meine Ecke.
»Also mir hängt das alles schon zum Hals raus«, erklärte denn auch in diesem Augenblick die Bonbons lutschende Blondine und setzte ein kleines Schmollmündchen auf. »Wollens net von was anderem reden? Schauns, ich hab bei meiner neuen Wohnung einen kleinen Garten. Könntens mir nicht lieber raten, was ich dort jetzt am besten als erstes anpflanzen soll? Ihre Frau hat doch gesagt . . .«
»Ach, das weiß mein Mann viel besser«, sagte die Frau mit den Zeitschriften, die nun auf ihrem Schoß lagen, fast erschrocken. »Richard, willst du die Dame nicht beraten, wir haben ja immer so gepflegte Rabatten.«
Der Mann namens Richard nahm seine Hornbrille ab, holte aus der Rocktasche ein grau-grün gestreiftes Taschentuch hervor, begann seine Augengläser zu putzen und schien sich auf eine längere Rede vorzubereiten. Aber noch ehe er anhob, ließ sich mit einem Mal mein Gegenüber vernehmen.
»Sie waren doch auch im Krieg«, sagte der Mann zu dem grauen Vogel in der Ecke in einem Ton, der nicht im geringsten auf den Wunsch der jungen Mitreisenden einging und ganz deutlich auch keinen Widerspruch duldete, »wo hat Sie denn das Ende erwischt?«
Die Frau mit der Bonbontüte verzog ihr Schmollmündchen, schüttelte mißbilligend den kunstvoll arrangierten Lockenkopf, sagte aber nichts.
Das graue Männchen bei der Tür war jedoch von dieser Frage wie von einem Zauberstab berührt. Die Hornbrille sauste mit einem Schwung auf die Nase zurück, das Taschentuch verschwand in der Rocktasche, und mit völlig veränderter, beinahe kraftvoller Stimme antwortete es:
»Also das war in Böhmisch Budweis, bei GeneralSchörner. Da bin ich in Gefangenschaft geraten. Gott sei Dank bei den Amerikanern und nicht beim Russen.«
Habe ich mich nicht verhört? Die Truppen General Schörners haben in den ersten Maitagen des Jahres 1945 versucht, den Aufstand der Prager Bevölkerung zu liquidieren. Wie die Liquidationsabsichten des Generals aussahen, besagen viele, allzu viele Gedenktäfelchen an gefallene Barrikadenkämpfer, aber auch an ermordete Frauen und Kinder vor allem in den südlichen Außenbezirken von
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