Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Kerl mit lustig blitzenden Augen. Ein Jahr verging, Maria wurde schwanger und gebar ihren kleinen Felipe. Ich wurde seine Taufpatin. Bei der Zeremonie in der Kirche, der nur Mutter und Kind und ich beiwohnten, erstaunte Maria die Frage des Pfarrers,ob das Kind einen Vater habe. »Como no«, sagte sie, »wie denn nicht!« Auf dem Nachhauseweg schimpfte sie über diese Geistlichen, die keine Ahnung vom Leben haben, sonst könnten sie doch nicht so dumme Fragen stellen. Jedes Kind weiß, daß es ohne Zutun seines Vaters gar nicht auf der Welt wäre.
»Maria«, fragte ich sie, als sie ihren Redestrom für einen Augenblick unterbrach, um Atem zu holen, »jetzt habt ihr einen kleinen Sohn. Willst du Eugenio nicht heiraten?«
Sie blieb mit dem Kind auf dem Arm stehen.
»Heiraten? Den Eugenio? Nein, Señora!« Als sie meine Verblüffung bemerkte, fügte sie hinzu: »Er will nicht lesen und schreiben lernen.«
Daran erinnerte ich mich vor dem Haus mit dem flachen Dach in der Calle Irapuato. Was wohl aus Maria geworden ist, die so bitterlich weinte, als wir aus Mexiko fortfuhren. Hat Eugenio seinen Widerstand aufgegeben und konnte der rechtskräftige Vater Felipes werden? Müßige Fragen. Wie hätte ich Maria in dem millionenfachen, von keinerlei amtlicher Registrierung festgehaltenen Menschengewimmel nach einem halben Jahrhundert finden können?
Die Fernsehleute drehten, wollten das und jenes von mir wissen, und dabei wurde mir ganz fröhlich zumute: Unsere Tochter, die ganz woanders auf die Welt gekommen ist, wird vielleicht dank dieser Aufnahmen das Haus und die Stadt sehen, wo sie, noch ungeboren, doch schon zugegen war.
Als sie mit der Arbeit fertig waren, luden die mexikanischen Mitglieder des Teams die Regisseurin und mich zur »comida« in einem volkstümlichen Lokal ein. In solchen Einrichtungen waren mein Mann und ich beinaheStammgäste gewesen, denn hier war es billig – was Emigranten zu schätzen wußten –, und das Essen war gut. Überdies kamen wir meistens mit unseren zufälligen einheimischen Tischnachbarn ins Gespräch, und das war richtig erholsam in unserem Emigrantendasein.
So setzte ich mich vergnügt an einen der mit Wachsleinwand bespannten Tische, verkostete meinen ersten Schluck Tequila bei diesem zweiten Aufenthalt, ließ mir den Mund von der scharfen Fleischfüllung eines echten Taco verbrennen, beteiligte mich auch diesmal an den Gesprächen von Tisch zu Tisch (wie wunderbar, nach all den Jahren noch imstande zu sein, spanisch zu sprechen, ein bißchen holprig, aber immerhin!). Der Kameramann und der Tonmeister stießen mit mir an: »Salud, Señoras, bienvenida en México!« Kein Zweifel, ich war wirklich wieder einmal da.
Am nächsten Tag wurde in der Aula der Universidad Nacional Autónoma de México feierlich die Konferenz eröffnet, die der eigentliche Anlaß für meine Reise war. Noch ehe die Begrüßungsansprachen anhoben, kam eine nicht mehr ganz junge, aber unübersehbar schöne Mexikanerin auf mich zu, umarmte mich in der hier üblichen stürmischen Weise und sagte:
»Lenka, mí papá freut sich so, daß Sie gekommen sind. Ich soll Sie von ihm ganz herzlich grüßen. Er kann leider nicht mit uns hier sein, mit seinen 101 Jahren ist das schon sehr beschwerlich.«
Ich dankte verlegen. So fieberhaft ich auch in meinem Gedächtnis stöberte, niemand fiel mir ein. Wer war, um Gottes willen, der uralte Papá der schönen Dame? Da wurde es jedoch schon still im Saal, und die Ehrengäste der Eröffnungsfeier wurden vorgestellt. Dann hieß es:
»Unser besonders verehrter Freund, dem dank seiner großen Verdienste ein Ehrenplatz hier unter uns gebührt, hat uns eine Botschaft zukommen lassen, weil er leider persönlich nicht anwesend sein kann. Wir lesen Ihnen nun vor, was uns der einstige Generalkonsul Mexikos in Marseille, der 101jährige Gilberto Bosques schreibt.«
Das durchzuckte mich wie ein Blitz. Der hilfreiche (». . . alles wird gut . . .«), tröstliche Gilberto Bosques lebt und ist inzwischen über hundert Jahre alt geworden! Ich blickte seine neben mir sitzende Tochter mit feucht gewordenen Augen an. Sie legte ihre mit einem prächtigen Silberring geschmückte Hand auf meinen Arm. In dem Brief ihres Vaters wurde gerade in diesem Augenblick unter den damals und auch jetzt wieder willkommenen Gästen aus Europa mein Name erwähnt. Es gibt also noch kleine Wunder im Leben. Nicht viele, gewiß, aber gerade deshalb sind sie von besonderer Bedeutung.
Am Nachmittag begann die
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