Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
die Luft verpestenden Taxis und ihrer je nach Temperament und Stimmung schimpfenden oder scherzenden Fahrer (Menschen, Menschen sind im Walde!), schlängelten wir uns zur Avenida Tamaulipas hindurch. Die Palmen stehen noch in der Mitte der Straße, sind mit der Zeit mächtiger geworden, breiten ihre Blattfächer unangefochten vom Betrieb ringsum fast gebieterisch in alle Richtungen aus. Ich ging auf das Haus zu, an dessen Seitenfenster Kisch am Morgen mit seiner ersten, zweiten oder wievielten Zigarette im Mundwinkel (das hing davon ab, ob er schon geschrieben hatte oder erst daran dachte) nach mir Ausschau hielt. Mein Weg zur Arbeit in der Botschaft der tschechoslowakischen Exilregierung führte an diesem Haus vorbei, und die tschechischen Grußworte, die mir Egonek so gut wie täglich zurief, waren für ihn eine sehr vage, ihm jedoch beinahe unentbehrlich gewordene imaginäre Brücke zum unerreichbaren Prag. Die Menschen zu Hause litten unter dem wachsenden Druck der Nazis. Der rasende Reporter in Mexiko litt an wachsendem Heimweh.
Die Wohnung des Ehepaars Kisch in diesem Haus war weder besonders schön, noch sehr gemütlich. In einem eher karg eingerichteten Zimmer saß der Meister an einem billigen Schreibtisch, oft den ganzen Vormittag im Schlafanzug und unrasiert, eine Tasse schwarzen Kaffees vor sich, die unerläßliche Zigarette zwischenden Fingern oder im Mundwinkel, und bedeckte Blatt um Blatt mit seiner unverkennbaren, dekorativ verschnörkelten Handschrift. Sie hatten allerdings ihre Funktion, die schneckenartig gewundenen Schriftzeichen. Indem er sie mit seiner Feder ziselierte, formulierte und präzisierte Kisch seine Gedanken, die Bilder und die Aussage, die er seinen Lesern vermitteln wollte.
In diesem Haus in der Avenida Tamaulipas, vor dem ich nun in Erinnerung versunken stand, hatte Egon Erwin Kisch den »Marktplatz der Sensationen« geschrieben und eines seiner schönsten und erfolgreichsten Bücher, die »Entdeckungen in Mexiko«.
Im Vorzimmer saß oft eine lärmende Kaffeerunde um Gisls großen runden Tisch. Wenn Egonek arbeitete, ließ er sich durch nichts und niemanden aus seiner Höhle locken. Aber plötzlich tauchte er auf, war witzig und liebenswert, zauberte für die Kinder seiner Freunde, und nur die ihm am nächsten Stehenden konnten an einer Furche in seinem runden Gesicht, an einem Schatten um die Augen erkennen, daß er mit seinen Gedanken noch anderswo war und mit sich nicht ganz zufrieden.
Ich kehrte zum Wagen zurück, und wir fuhren zur Calle Irapuato.
»Sind Sie nervös?« fragte mich die junge Regisseurin des Fernsehteams, als ich nun stumm neben ihr saß.
Ich schüttelte den Kopf, wollte mich jetzt nicht zerstreuen lassen, tastete mit den Augen die Gegend, die Umgebung meines damaligen Zuhause ab. Nein, nervös war ich eigentlich nicht, aber so gespannt, als ob mich etwas Phantastisches erwartete. Ein freudiges Wiedersehen? Eine schmerzliche Enttäuschung? Nostalgische Trauer nach einst Gewesenem?
Die stille kurze Irapuato ist dieselbe geblieben, nurein wenig eleganter geworden. Ich stand von »unserem« nach wie vor einstöckigen Haus mit dem flachen Dach über unserer Wohnung, blickte auf seine Vorderwand mit den großen Fenstern – und nichts regte sich in mir. Das war doch das Bild, das ich die ganzen Jahre in mir trug, dieses würfelartige Haus mit der buschigen Baumkrone am Rande des Gehsteigs, die mit einem dicht belaubten und mitunter hellviolett blühenden Zweig in unser Wohnzimmer einzudringen pflegte, sowie ich das Fenster öffnete. Nun hatte diese Erinnerung bloß festere Umrisse angenommen.
Ganz unberührt ließ mich die Calle Irapuato freilich nicht. Auf einmal sah ich Victoria vor mir, die alte Indianerin mit dem frühzeitig zerfurchten Gesicht und zwei dünnen angegrauten Zöpfchen, die in der Avenida Industria unsere Hausbesorgerin war und mir fürsorgliche Ratschläge erteilte, wie ich mich bei Erdbeben verhalten sollte. Als wir in dem Haus unsere Wohnung aufgaben und in die Irapuato umzogen, kam sie mit einer Bitte zu mir. Könnte ich nicht Maria, ihre siebzehnjährige Tochter, mitnehmen, in dem neuen Haus werde unsere Wohnung sicherlich auch ein Dienstbotenzimmer auf dem flachen Dach haben, wie das hier üblich war, und sie seien doch so viele in ihrem einzigen Raum . . .
Maria kam mit und bezog Zimmer und Duschraum auf dem flachen Dach, das sie auch als Küche benützte. Bald wohnte Eugenio, ihr Lebensgefährte bei ihr, ein stattlicher, hübscher
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