Das Treffen in Telgte
lange von den Glogauer Ständen, deren Syndikus zu sein. So sehr er vormals des Opitz wendige Diplomatie verabscheut habe, so notwendig sei ihm heute die dem Gemeinwohl nützliche Tat. Wenn, mehr noch als das wüste Land, ringsum Gesetz und Sitte in Trümmern lägen, müsse dem Chaos zuvörderst Ordnung geboten werden. Einzig die gebe den blindlings irrenden Menschen Halt. Mit blumigen Schäfereien und Klinggedichten sei nichts getan.
Solche dem geschriebenen Wort abschwörende Rede reizte den beiseitestehenden Logau zu druckfertigen Sätzen: Das gäbe ledern Brot, wenn der Schuster Bäcker sein wolle. Und Weckherlin sagte: Seine bald dreißig Jahre Staatsplackerei hätten keine seiner Oden aufwiegen können: die wolle er alle, die jungen und die altersschwachen, demnächst in Druck geben.
Desgleichen ließen sich die bisher zurückhaltenden Verleger durch Gryphius’ Rede, die in immer neuen Bildern den Tod der Literatur und die ordnungschaffende Herrschaft der Vernunft verkündeten, nicht davon abhalten, um den Tisch zu wieseln und nach geglückten Manuskripten zu fahnden. Weckherlins Neudruck war schon nach Amsterdam vergeben. Moscherosch ließ sich von dem Hamburger Buchhändler Naumann umwerben. Nachdem der Verleger Endter mit Rist, der bislang in Lüneburg hatte drucken lassen, so gut wie einig geworden war über ein umfänglich den bevorstehenden Frieden feierndes Manuskript, versuchte er, im Wettstreit mit dem Straßburger Mülben und dem Holländer Elzevihrn, den findigen Hoffmannswaldau zu bewegen, ihnen – dem einen, dem anderen oder dem dritten – das Trutznachtigallen-Manuskript des toten Jesuiten Spee zu verschaffen: Wenn es nur gut sei, wolle man auch Papistisches drucken. Und Hoffmannswaldau gab dem einen, dem anderen, dem dritten Hoffnung. Er soll – so lästerte später Schneuber – von allen dreien Vorschuß kassiert haben; doch gedruckt ist des Friedrich von Spee »Trvtz-Nachtigal« erst im Jahr neunundvierzig bei Friessem im katholischen Köln.
Darüber nahm der Abend zu. Einige Herren wollten sich noch im Garten der Wirtin bewegen, wurden aber bald von den Mücken vertrieben, die von der Ems her in Schleiern herüberwehten. Dach wunderte sich über den zähen Fleiß der Libuschka, die inmitten Wildnis, gegen Nesseln und Disteln ankämpfend, ihr Gemüse zog. So mutig habe sein Albert auf der Pregelinsel Lomse sein Gärtchen um die Kürbishütte erobert. Nichts sei von der geblieben. Bald bleibe einzig die Blume jetziger Tage, die Distel, zu loben – als Sinnbild widriger Zeit.
Dann standen sie noch ein Weilchen im Hof oder vertraten sich zur äußeren Ems hin die Beine, wo leer eine Walkmühle stand. Jetzt sah man, daß, vorgelagert der Stadt, zwischen den Flußarmen eine Insel, der Emshagen, Ort ihrer Versammlung war. Sie sprachen fachmännisch über die schadhafte und turmlose Stadtmauer und bewunderten Moscheroschs Tabakspfeife. Sie schwatzten mit den Mägden, von denen eine Elsabe (wie des toten Fleming Geliebte) hieß, und redeten, von den Hofhunden umsprungen, die angepflockten Maulesel lateinisch an. Sie machten launige oder spitze Bemerkungen gegen- und übereinander und stritten ein wenig, ob man nach Schottels lehrreicher Farbskala das Haar der Wirtin Libuschka »pesch- oder kohlschwarz« und den dämmernden Abend »eselfahl« nennen dürfe. Sie lachten über Greflinger, der sich, nach der Manier schwedischer Fähnriche, breitbeinig zwischen die Musketiere gestellt hatte und von seinen Feldzügen unter Baner und Torstenson erzählte. Grad wollten sie sich in Gruppen über die Hauptstraße zum Emstor hin bewegen – denn noch immer war ihnen Telgte ein unbekannter Ort –, da ritt einer der kaiserlichen Reiter aus des Stoffels Abteilung in den Hof, übergab Gelnhausen, der mit der Wirtin und dem Feldwebel der Musketiere im Stalltor stand, einen Nachrichtenstab – und bald wußten es alle: Trauttmannsdorff, des Kaisers Oberunterhändler, war plötzlich – man schrieb den 16. Juli – und zwar betont gutgelaunt, aus dem Stift Münster nach Wien abgereist, den Kongreß und dessen verhandelnde Parteien verstört zurücklassend.
Sogleich wurde das Gespräch politisch und verlagerte sich in die Kleine Wirtsstube, wo ein neues Faß Braunbier angezapft wurde. Nur die Jungen – Birken, Greflinger und zögernd der Student Scheffler – blieben mit Zesen im Hof und machten sich an die drei Mägde ran. Jeder griff zu oder wurde (wie Scheffler) gegriffen; nur Zesen ging leer aus und
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