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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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lange sei ihrem Gaumen solche Wohltat nicht erwiesen worden. Weckherlin verfluchte die englische Küche. Hoffmannswaldau nannte den ländlichen Aufwand ein Göttermahl. Harsdörffer und Birken zitierten abwechselnd, in Latein und verteutscht, aus antiken Schäfereien vergleichbare Mahlzeiten. Und im Wortgefälle des Wedelschen Pfarrers Rist, dem Dach das Tischgebet aufgetragen hatte, wandelte sich der emsländische Hirsebrei zum himmlischen Manna.
    Einzig Gelnhausen maulte erst vor sich hin und zankte dann laut mit der Wirtin: Was die Courage sich denke! Solchen Fraß könne er seinen Reitern und Musketieren, die bescheiden im Stall ihr Lager hätten, nur einmal zumuten. Die stünden dem Kaiser, weil der Sold nicht reiche, auf täglich Brathühnchen, Ochsenbrust und Schweinebacke im Wort. Wenn denen nicht knuspriger aufgetragen werde, seien die morgen beim Schwed schon. Denn wie die Muskete trockenes Pulver verlange, wolle der Musketier bei Laune gehalten sein. Und wenn Mars ihm seinen Schutz entziehe, sehe sich der schwanenhalsige Apoll jedem freilaufenden Haumesser geliefert. Was heißen solle: Ohne militärische Protektion müsse der Poetendisput alsbald auffliegen. Er wolle den Herren – die Courage wisse das wohl! – nur schonend andeuten, daß ganz Westfalen und besonders die tecklenburgische Gegend nicht nur mit Buschwerk, sondern die Ems rauf und runter mit Landstörtzern gesprenkelt sei.
    Darauf verzog er sich mit der Libuschka, die offenbar einsah, daß Gelnhausens Reiter und Musketiere einer Zukost bedurften. Man ließ die entweder verängstigten oder wegen der frechen Anmaßung empörten Literaten ein Weilchen unter sich. Mochten sie sich Luft machen mit ihren Wechselreden. Es würde ihnen schon gelingen, die Gefährdung des Treffens mit dactylischen Wörtern, nach denen sie allzeit auf Suche waren, kunstreich zu überspielen; ginge die Welt unter, würden sich diese Herren, inmitten Gepolter, um falsche oder richtig gesetzte Versfüße streiten. Schließlich – und das hatte nicht nur Gryphius mit dem Wortprunk seiner Sonette gesagt – war ohnehin alles eitel.
    Deshalb fand sich die Runde den Tisch lang bald wieder löffelnd und kauend im literarischen Gespräch. Am einen Kopfende – Dach gegenüber – trug Buchner mit gestischer Rede seinen Argwohn gegen den abwesenden Schottel vor, den er des Anschlages auf die Fruchtbringende Gesellschaft bezichtigte. Worauf Harsdörffer und dessen Verleger Endter, die mit Schottel heimliche Pläne hatten, des Magisters Redeweise parodierten. Überall wurden Abwesende durchgehechelt, lief Streit überkreuz, war Spott überschüssig und bewarf man sich mit wortgewordenen Steinen: hier saßen sie rittlings auf der Bank und zählten dem Lauremberg beckmesserisch die plattdeutschen »pedes« nach; dort zankten Zesen und Birken den toten Opitz aus, dessen Versregeln starre Zäune genannt und dessen Wortbilder als farblos gescholten wurden. Beide Neutöner klagten Rist, Czepko und (hinter der Hand) Simon Dach des ewigen »Opitzierens« an. Dagegen empörte sich Rist, der mit Weckherlin und Lauremberg saß, über die Unmoral der Pegnitz-Schäfer: In Nürnberg lasse man bei den Sitzungen des Blumenordens sogar Weiber zu. Ein Glück, daß Dach keine Frauenspersonen geladen habe. Deren gereimtes Seelengebräu sei ja neuerdings à la mode.
    Woanders stand man um den sitzenden, mit seinen dreißig Jahren schon rundum beleibten Gryphius. Trauer und Weltekel mochten ihn so gebläht haben. Sein überall spannender Bürgerrock. Sein schon zur dritten Wölbung bereites Doppelkinn. Er sprach mit Verkünderstimme und konnte donnern, selbst wenn ihm Blitze fehlten. In kleinem Kreis sprach er hallend die Menschheit an, wobei die Frage, was der Mensch sei, in immer neuen, sich löschenden Bildern Antwort fand: Blendwerk ringsum. Gryphius nichtete. Immer war ihm das, was er tat, ekelhaft. So heftig er schreiben mußte, so wörterspeiend schwor er immer wieder dem Schreiben ab. Auch lief sein Überdruß an allem Geschriebenen oder gar Gedrucktem Hand in Hand mit seiner Lust, alles Geschriebene, etwa Trauerspiele, die ihm neuerdings von der Hand gingen, oder Schimpf- und Lustspiele, die er plante, bald gedruckt zu sehen. Deshalb konnte er – soeben noch wortmächtige Szenen entwerfend – ohne Übergang »vom Tichten und solchem Tand« Abschied nehmen: Das alles sei im Entstehen Zerfall schon. Er wolle, wo doch nun Frieden werde, lieber sich nützlich machen. Gedrängt werde er schon

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