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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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lief, von Greflingers Spott verletzt, zum Fluß, wo er mit sich allein sein wollte.
    Doch kaum sah ich ihn über der äußeren Ems stehen, die sich tief in Sandgrund gebettet hatte, trieben zwei aneinandergebundene Leichen gegen das Ufer: die waren, obgleich gedunsen, kenntlich als Mann und Frau. Nach kurzem Zögern – für Zesen verging eine Ewigkeit – lösten die beiden ihr Fleisch aus dem Weidengeschling, kreiselten in der Strömung, waren verspielt miteinander, entkamen dem Strudel, glitten flußab zu den Mühlwehren hin, wo der Abend in Nacht überging, und ließen nichts zurück; es sei denn mögliche Wortbilder, die Zesen sogleich mit gesucht neuen Klingwörtern aufzufüllen begann. Weil von Sprache bedrängt, blieb ihm nicht Zeit, sich zu entsetzen.
    7
    In der Kleinen Wirtsstube wurden beim Bier Vermutungen gehandelt. Sein Lächeln – und Trauttmannsdorff gelte als grämlicher Mann – könne nur Triumph der Papisten, Vorteil Habsburgs, weiteren Verlust für das protestantische Lager und abermals verschobenen Frieden bedeuten, sagten die Herren einander, ihre Befürchtungen steigernd. Besonders die Schlesier sahen sich preisgegeben. Czepko ahnte: Jetzt werde man endgültig den Jesuiten geliefert.
    Sie rückten von Gelnhausen ab, der den plötzlichen Aufbruch des kaiserlichen Gesandten mit Spott quittierte: Wen das denn wundere, wo doch Wrangel, seitdem er den gichtigen Torstenson abgelöst habe, nur noch in seine Tasche Privatkrieg führe und lieber, auf Beute aus, in Bayern einfalle, als durch das ausgemergelte Böhmen gegen Wien zu ziehen. Außerdem sei die protestantische Sache beim Franzos nicht allzu löblich aufgehoben, weil – was man in Paris als Liedchen singe – die österreichische Anna dem Mazarin die Socken stopfe, während der Kardinal ihr die königliche Courage salbe.
    Ja, rief die Wirtin Libuschka, den Handel kenne sie seit Mägdleins Zeiten. Siebenmal sei sie zumeist kaiserlichen, aber auch hessischen Rittmeistern und einmal beinahe einem dänischen angetraut gewesen. Und jedesmal, ob ein Pfaff oder ein Lutherischer den Segen dazu gegeben hätte, als Courage bedient und beschimpft worden. So seien die Herren! Der eine wie der andere. Und der Stoffel, den man in Hanau schon, später in Soest, zuletzt im Sauerbrunnen, als sie sich die lieblichen Franzosen habe auskurieren müssen, den Simpel genannt hätte – Lauf Simpel! Komm Simpel! Mach Simpel! –, der habe auch nicht mehr hinterm Latz als ihre abgelebten Rittmeister.
    »Halt’s Maul, Courage, sonst stopf ich Dir Deine!« schrie Gelnhausen. Ob sie nicht wisse, daß seit der schwäbischen Kur noch eine Rechnung offen sei?
    Sie werde ihm seine bald aufmachen, ihm alle Bälger abkassieren, die ihm, dem windigen Simpel, in wechselnden Quartieren nachgeboren wären.
    Was die Courage von Bälgern schwatze, wo sie keinen Balg auf die Welt gebracht habe, nur taub auf dem Esel hocke, der nichts als Disteln fresse. Sie selber sei eine Distel, die man stechen müsse, wo sie treibe. Bis zur Wurzel stechen müsse!
    Worauf die Wirtin Libuschka, als habe Gelnhausen sie wahrhaftig gestochen, auf den Tisch sprang, zwischen den Braunbierkrügen stampfte, bis die Krüge tanzten, plötzlich alle Röcke hob, die Pluderhosen fallenließ, ihm, dem Stoffel, den Arsch kehrte und zielgenau Antwort gab.
    »Was, Gryf!« rief Moscherosch. »Die könnt den Skribenten teutscher Tragödien treffliche Dialoge und Aktschlüsse setzen.«
Alle lachten. Sogar aus dem zuvor verfinsterten Gryphius brach nun Gelächter. Weckherlin wollte den »couragierten Donner« wiederholt hören. Und weil Logau eine Sentenz einfiel, nach der dem Furz höherer Sinn zukomme, als ihm anzuhören sei, war die Gesellschaft bald über den Kummer hinweg, den die Nachricht von des Trauttmannsdorff plötzlicher Abreise eingerührt hatte. (Nur Paul Gerhardt suchte entsetzt seine Kammer. Ahnte er doch, welche Wendung der Afterwind der Wirtin dem Gespräch der Herren geben würde.)
Beim Braunbier wußten sie füreinander derbe und hintersinnige Anekdoten. Moscherosch hielt davon mehrere ungedruckte Kalender bereit. Mit mehr verhüllenden als aufdeckenden Wendungen erzählte Hoffmannswaldau, wie kraus es Opitz in Breslau mit etlichen Bürgertöchtern getrieben hätte und doch um die Alimente herumgekommen sei. Der alte Weckherlin leerte den Londoner Sündenpfuhl aus, wobei es ihm sonderlich Spaß machte, die puritanischen Heuchler der neuen Herrschaftsklasse nackt daherlaufen zu lassen. Von

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