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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Schneuber hörte man Anzüglichkeiten über fürstliche Damen, die sich im Kreis der Tannengesellschaft nicht nur dichtend und reimend um Rompler gelagert hatten. Natürlich trug Lauremberg bei. Jeder machte sein Faß auf. Sogar Gryphius gab dem Drängen nach und tischte ein paar Mitbringsel seiner Italienreise: verhurte Mönchsgeschichten zumeist, die Harsdörffer zu überbieten versuchte und Hoffmannswaldau zu Drei- und Vierecksgeschichten variierte; wobei sie sich zu dritt ihre Gelehrtheit bestätigten, indem sie, einen Hurenritt einleitend oder eine Kuttenposse ausklingen lassend, ihre welschen Literaturquellen bekanntmachten.
Als Simon Dach staunend sagte, er lebe offenbar am falschen Ort, solche Begebenheiten könne er aus dem Königsbergischen Kneiphof nicht melden, dort gehe es zwar kräftig zu, aber niemals dermaßen kreuz über quer, fand man seinen Beitrag besonders lustig. Und hätten nicht, von Harsdörffer und noch wem gestachelt, die Wirtin Libuschka und Gelnhausen (sie mit ihm, dem »Simpel!«, vorübergehend versöhnt) einige Geschichten, er aus seinem Soldatenleben – die Schlacht bei Wittstock –, sie aus ihrer Marketenderinnenzeit im Lager vor Mantua erzählt, dann etliche »Beyschläfereien« aus ihrer gemeinsamen Sauerbrunnenkur geboten, wäre es mit dem Geschichtenerzählen und Faßaufmachen unterhaltsam weitergegangen. Doch als die beiden jene schrecklichen Einzelheiten reihten, die sich in Magdeburg zugetragen hatten, als Tilly mit seinem Greuel über die Stadt gekommen war, lahmte die Art des Berichtes: frech zählte die Libuschka auf, wieviel Gewinn sie aus Plünderungen gezogen. Sie prahlte mit Körben voller Goldklunkerketten, die sie den hingemachten Weibern vom Hals geschnitten hatte. Endlich stieß Gelnhausen sie an, damit sie verstumme. Das Elend Magdeburgs ließ nur noch Schweigen zu.
In die Stille hinein sagte Dach: Es sei nun spät genug, Schlaf zu suchen. Der ungeschminkte Bericht des Stoffel und mehr noch der Wirtin, zu dem man leichtfertig beide aufgefordert habe, zeige deutlich, wo das Gelächter seine Grenze finde, wie teuer man für zuviel Gelächter zahle, weshalb sie nun alle, mit ihrem Gelächter im Hals, zu schlucken hätten. Das komme, weil selbst dem feinsten Gemüt das Grauen gewöhnlich geworden sei. Möge ihnen der Herrgott verzeihen und wohltun in seiner Güte.
Wie Kinder schickte Dach die Gesellschaft ins Bett. Es gab auch keinen letzten Schluck mehr, auf dem Lauremberg und Moscherosch bestehen wollten. Er wünsche kein Gelächter, auch kein leises mehr zu hören. Es sei genug Witz vergeudet worden. Zum Glück habe der fromme Gerhardt frühzeitig in seine Kammer gefunden. Eigentlich hätte Rist – sonst stark im Predigen – die um sich greifende Maulhurerei beenden müssen. Neinnein, er zürne niemandem. Schließlich habe er mitgelacht. Jetzt gebe es nichts mehr zu sagen. Erst morgen, sobald wieder zu jedermanns Nutzen vom Manuskript gelesen werde, wolle er gerne mit allen, wie man ihn kenne, heiter sein.
Als es still war im Haus – nur die Wirtin räumte in der Küche und mochte Gelnhausen bei sich haben – ging Simon Dach noch einmal die Flure ab und sah auf den Dachboden, wo das Strohlager der Jungen war. Dort lagen sie und hatten die Mägde bei sich. Birken lag wie ein Kind gehalten. Wie tief sie sich erschöpft hatten. Nur Greflinger schreckte auf und wollte sich erklären. Doch Dach gab mit den Fingern ein Zeichen, still und unter der Decke zu bleiben. Mochten sie es miteinander haben. Nicht hier im Stroh, in der Wirtsstube war man sündig geworden. (Und ich hatte mitgelacht, hatte mir Geschichten einfallen lassen, hatte Anstoß geben und – wenn schon dabei – zwischen den Spöttern sitzen wollen.) Nach letztem Hinblicken freute sich Dach, weil auch der stille Scheffler zu einer Magd gekommen war.
Als er endlich in seine Kammer wollte – sei es, um einen Brief zu beginnen – hörte er vom Hof her Pferde, Wagenräder, die Hunde, dann Stimmen. Das wird mein Albert sein, hoffte Dach.
    8
    Er kam nicht allein. Der Königsberger Domorganist Heinrich Albert, der sich als Tonsetzer und Herausgeber gesammelter Lieder, seiner laufend erscheinenden »Arien«, über Preußen hinaus einen Namen gemacht hatte, brachte mit sich seinen Vetter, den kursächsischen Hofkapellmeister Heinrich Schütz, der ohnehin nach Hamburg und weiter nach Glückstadt wollte, wo er die ersehnte Einladung an den dänischen Hof zu finden hoffte: in Sachsen hielt ihn nichts mehr.

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