Das Treffen in Telgte
Anfang der Sechziger, in Weckherlins Alter also, doch straffer als der vom Staatsdienst verbrauchte Schwabe, war Schütz ein Mann von entrückter Autorität und strenger Größe, die niemand (auch Albert nur annähernd) fassen konnte. Sein nicht etwa herrischer, eher der vermeintlichen Störung wegen bekümmerter Auftritt hob die Versammlung der Dichter in Telgte und gab dem Treffen andererseits kleineres Maß. Jemand, den keine Gruppe aushalten konnte, war zu ihnen gekommen.
Ich will nicht klüger als damals sein – doch das wußten alle: So unangefochten Schütz seinen Gott begriff und so ergeben er sich, trotz wiederholter dänischer Angebote, seinem Fürsten bewiesen hatte, war er dennoch einzig dem eigenen Anspruch untertan geblieben. Niemals, selbst nicht in Nebenprodukten, hatte er das Mittelmaß protestantischer Alltagserwartungen erfüllt. Seinem Kurfürsten und dem dänischen Christian war an höfischer Musik nur das Notwendigste zugekommen. Obgleich immer tätig – wie mitten im Leben stehend –, verweigerte er die üblichen Geschäftigkeiten. Verlangten die Verleger seiner Werke dem Kirchgebrauch dienliche Zusätze, etwa die Notierung des Generalbaß, so bedauerte Schütz im jeweiligen Vorwort die Beigabe und warnte vor ihrem Gebrauch: Es dürfe der basso continuo, wenn schon, dann nur ein selten gerufener Nothelfer sein.
Da keiner wie er aufs Wort setzte und seine Musik einzig dem Wort zu dienen hatte, es deuten, beleben, seine Gesten betonen und in jede Tiefe, Weite und Höhe versenken dehnen erhöhen wollte, war Schütz streng mit Wörtern und hielt sich entweder an die überlieferte lateinische Liturgie oder an Luthers Bibelwort. Dem Angebot der zeitgenössischen Dichter hatte er sich in seinem Hauptwerk, der geistlichen Musik, bis auf die Ausnahmen des Beckerschen Psalter und einiger Texte des jungen Opitz, bisher versagt; die deutschen Poeten hatten ihm nichts zu sagen gehabt, so dringlich er uns mit Wünschen nach Texten gekommen war. Deshalb erschrak Simon Dach, bevor er sich freuen konnte, als er den Namen des Gastes hörte.
Sie standen eine Weile im Hof und wechselten Höflichkeiten. Immer wieder entschuldigte sich Schütz als ungeladener Gast. Wie um sich einzuführen, beteuerte er: Es seien ihm einige anwesende Herren (Buchner, Rist, Lauremberg) seit Jahren bekannt. Andererseits versuchte Dach, die ihnen widerfahrene Ehre in Worte zu bringen. Des Gelnhausen kaiserliche Wache hielt sich mit Fackeln im Hintergrund, meinten die Musketiere doch, der Ankunft eines Fürsten beiseite zu stehen, auch wenn dessen Reisekleidung bürgerlich und sein Gepäck an zwei Griffen zu tragen war. (Der andere Gast mochte des Fürsten Kammerherr sein.)
Man war über Oesede gekommen und hatte dort den Hinweis nach Telgte gefunden. Weil Schütz mit kursächsischem Geleitbrief reiste, konnte ihr Wagen leicht frisch bespannt werden. Als wollte er sich ausweisen, zeigte er mit kindisch anmutendem Stolz das Schreiben und plauderte dabei: Nichts Hinderliches sei ihnen unterwegs widerfahren. Der Vollmond habe die flache Gegend ausgeleuchtet. Die liege brach und wüst. Jetzt sei man müder als hungrig. Wenn sich für ihn kein übriges Bett finde, wolle er gern auf der Ofenbank schlafen. Er kenne Gasthöfe. Es habe sein Vater in Weißenfels an der Saale den Schützenhof betrieben: ein oft überfülltes Haus.
Nur mit Mühe gelang es Dach und Albert, den Hofkapellmeister zu bewegen, die Dachsche Kammer zu beziehen. Als sich die Wirtin (mit Gelnhausen im Hintergrund) zeigte und den Namen des Gastes hörte, war sie bald eilfertig und begrüßte ihn mit italienischem Schwall als »Maestro Sagittario«. Noch erstaunter – und Schütz ein wenig erschrocken – waren alle im Hof, als Gelnhausen plötzlich und nachdem er sich schon dienstfertig zwischen das Gepäck des späten Gastes gestellt hatte, mit angenehmem Tenor aus den »Cantiones sacrae«, einem eher überkonfessionellen, deshalb bis in katholische Gegend verbreiteten Werk den Anfang der ersten Motette zu singen begann: »O bone, o dulcis, o benigne Jesu…«
Sich erklärend sagte der Stoffel: Er habe als Troßbub in Breisach, als die Stadt von den Weimarern belagert wurde, im Chor gesungen, weil das Singen gegen den Hunger helfe. Dann griff er zum Gepäck und zog mit Schütz alle anderen nach sich, zum Schluß die Wirtin; sie trug, auf Wunsch des Gastes, einen Krug Apfelmost in die Kammer, dazu vom Schwarzbrot.
Später bereitete die Libuschka in der Kleinen
Weitere Kostenlose Bücher