Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
einig werden können, »teutsch« oder »deutsch« zu schreiben, aber jedes Lob des »Deutschen« und »Teutschen« gab uns Auftrieb. Jedem fiel neues Naturgeräusch als Beweis deutscher Wortkunst ein. Bald war man (zum Ärger Buchners) bei Schottels gereihten Sprachfunden, lobte sein »Schneemilchweiß« und andere Findlinge. Wir sahen uns einig beim Sprachverbessern und Eindeutschen. Selbst Zesens Vorschlag, für Nonnenkloster »Jungfernzwinger« zu setzen, fand Zustimmung.
    Erst Laurembergs langes Gedicht »Van Almodischer Poesie und Rimen«, dessen plattdeutsche Verse kräftig gegen die neumodischen hochdeutschen Poeten austeilten, spaltete wieder die Versammlung, obgleich Lauremberg schlecht beizukommen war. Er hatte die Argumente seiner Gegner vorgewußt – »In allen Cantzeleien ist unsre Sprach gemein, Was Teutsch geschrieben wird, muß alles Hochdeutsch sein…« – und spielte das unverdorbene Nedderdüdsch gegen die gestelzte, affektierte, sich hier kringelnde, dort zum Wust gestaute Kanzlei- oder Hochdeutsche Sprache aus: »Se is so lappisch und so verbrüdisch, Dat men schier nicht weet off idt Welsch is edder Düdisch…«
    Dennoch verdammten nicht nur die Neutöner Zesen und Birken, sondern auch Buchner und Logau jegliche Mundart als Mittel der Poesie. Einzig das Hochdeutsche sollte zum immer feineren Instrument verbessert werden, damit es – was mit Schwert und Spieß nicht gelungen sei – das Vaterland leerfege von fremder Herrschaft. Rist warf ein, dann müsse man auch mit dem antiken Plunder, der lästerlichen Anrufung der Musen und dem heidnischen Göttergeschmeiß aufräumen. Gryphius sagte, er habe lange, im Gegensatz zu Opitz gemeint, daß nur die Mundart der Hauptsprache Kraft gebe, doch habe er sich nach seinem Studium in Leyden größerer Strenge verschrieben, nicht frei von Bedauern.
    Und wieder war es Gelnhausen, der von der Fensterbank her Bescheid gab: Wenn man zum Rhein hin Kappes, zwischen Ems und Weser Kumst sage, sei jedesmal Kohl gemeint. Er könne den Sprachstreit nicht begreifen. Laurembergs Poem habe doch jedem Ohr Beweis gegeben, wie hübsch das platte Maulwerk zum gestelzten Gerede klinge. Also solle beides nebeneinander und gemischt seinen Bestand haben. Wer immerfort nur reinlich halte und dem Besen zuspreche, der kehre am Ende das Leben aus.
    Zwar wollten Rist und Zesen (gemeinsam und gegeneinander) Einwände vorbringen, doch Dach stimmte dem Stoffel zu: Auch er lasse sein heimisches Preußisch in etliche Liedchen wie Buttermilch fließen und habe gesammelt, was das Volk singe, damit es, durch Zutun des Organisten Albert, zum allgemeinen Gesang tauglich gemacht werde. Worauf er sein »Anke van Tharaw öß, de my geföllt, Se öß mihn Lewen mihn Goet on mihn Gölt…« einige Verse lang halblaut für sich, schließlich nicht mehr allein, sondern mit Lauremberg, Greflinger, Rist und auch mit Gryphius’ starker Stimme im Chor sang, bis die samländische Anke den Sprachstreit beendete: »Dit mahckt dat Lewen tom Hämmlischen Rihk, Dörch Zancken wart et der Hellen gelihk.«
    Darauf hob Simon Dach die Versammlung für diesen Tag auf: Das Mahl sei in der Kleinen Wirtsstube gerichtet. Wem es zu einfach sei, der möge bedenken, daß fouragierende Kroaten erst kürzlich die Vorräte der Wirtin requiriert, die Kälber weggetrieben, die Säue abgestochen und die letzte Gans konsumiert oder, wie man gutdeutsch sage, gefressen hätten. Doch satt werde man allemal. Und Genuß habe mit Rede und Widerrede der Nachmittag gebracht.
    Als sie die Große Wirtsdiele räumten, war wieder der Medizinstudent zwischen ihnen. Er machte Augen, als sei ihm unterwegs ein Wunder widerfahren. Dabei hatte ihm nur der Pfarrer der Hauptkirche das Telgter Vesperbild, versteckt in einem Schuppen, gezeigt. Zu Czepko, der neben mir stand, sagte Scheffler: Es habe ihm die Gottesmutter bedeutet, daß, wie Gott in ihm, sie in jedes Mägdlein Schoß zu finden sei.
    6
    Was die Wirtin von ihren Mägden auftragen ließ, war so mager nicht: in tiefen Kummen dampfender Hirsebrei mit ausgelassenem Schweineflom und Speckspirkeln übergossen. Dazu gab es Brühwürste und grobes Brot. Außerdem hatte ihr Garten, der hinterm Haus, von Wildnis umzäunt, geschützt lag (und den die fouragierenden Kroaten übersehen haben mochten), Zwiebeln, Mohrrüben und Rettich hergegeben, was alles roh auf den Tisch kam und zum Braunbier schmeckte.
    Sie lobten die einfache Kost. Und die Verwöhnten behaupteten im Überschwang: Schon

Weitere Kostenlose Bücher