Das Treffen
Abilene.
»Offensichtlich haben sie das Mädchen gefunden«, schloss Finley. »Und waren ziemlich sauer.«
»Aber – wie in Gottes Namen kann man achtundzwanzig Menschen umbringen?«
»Man hat Gift im Essen gefunden. Aber das war nicht die Todesursache. Zum einen haben nicht alle von dem Eintopf gegessen. Die Kinder zum Beispiel bekamen Hotdogs und Hamburger. Anscheinend wollten die Mörder nicht warten, bis das Gift jemanden tötete – sie wollten sie nur außer Gefecht setzen. Sie sind über sie hergefallen. Mit Gewehren, Messern, Hackebeilen und Äxten.
Die meisten der Gäste wurden im Speisesaal niedergemetzelt. Einige konnten fliehen, aber sie kamen nicht weit. Man hat überall Leichen gefunden – hinter dem Empfangsschalter, auf der Treppe, im ersten Stock. Ein enthaupteter Rumpf trieb genau hier«, sagte sie und deutete auf den Durchgang, der zum Becken innerhalb des Hauses führte.
»Im Wasser! «
»Genau.«
Abilene bekam eine Gänsehaut. »Igitt.«
Vivian war bereits aufgesprungen und kletterte aus dem Wasser.
»Danke, dass du uns das erzählt hast«, sagte Abilene.
»Jetzt macht mal halblang«, sagte Cora. »Das ist zwölf Jahre her, um Himmels willen. Von dem ist nichts mehr übrig.«
»Trotzdem …«, protestierte Abilene halblaut. Das warme Wasser fühlte sich plötzlich dick und faulig auf ihrer Haut an. Vivian stand auf dem Granitboden und sah an sich herab, als rechne sie damit, etwas Scheußliches an ihrem Körper kleben zu finden.
Abilene wollte ihrem Beispiel schon folgen. Aber Helen und Cora machten keine Anstalten, das Becken zu verlassen. Nach zwölf Jahren schwammen bestimmt keine Leichenteile mehr hier herum. Das war lächerlich. Außerdem waren sie jetzt schon lange genug im Wasser gewesen, ohne dass ihnen etwas zugestoßen war.
»Das ist genau so, als ob man einen Apfel isst, und nachher erzählt einem einer, dass ein Wurm drin war.«
»Das ist doch eklig, Hickok.«
»Das findest du auf einmal eklig?«
»Da war mal ein Toter im Wasser. Und weiter?«
»Wir hätten nicht herkommen sollen«, sagte Vivian.
»Weicheier«, verkündete Finley.
»Das ist doch alles schon eine Ewigkeit her«, sagte Cora. »Warum regt ihr euch so auf?«
»Ich muss unter die Dusche«, sagte Vivian.
»Na dann viel Glück. Vielleicht findest du eine.«
»Setzt euch und beruhigt euch erst mal«, sagte Cora. »Ich will den Rest der Geschichte hören.«
»Es geht noch weiter?« Vivian klang nicht gerade begeistert.
»Nein, das war's im Großen und Ganzen. Vielleicht hätte ich euch nichts von der Leiche im Wasser erzählen sollen.«
»Das finde ich allerdings auch«, sagte Abilene.
»Selig sind die Armen im Geiste, Hickok. Deshalb bist du die ganze Zeit so gut drauf.«
»Leck mich.«
»Soll ich euch jetzt den Rest erzählen?«, wollte Helen wissen.
»Klar. Wenn jemand nicht zuhören will, soll er sich eben die Ohren zuhalten.«
»Ich denke, das Schlimmste haben wir schon gehört.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, setzte sich Vivian an den Beckenrand. Sie wischte mit den Händen über ihre Oberschenkel, als würde sie Insekten verscheuchen.
»Wie gesagt, überall wurden Leichen gefunden«, fuhr Helen fort.
»Das hatten wir bereits«, murmelte Abilene.
»Einige wiesen Schusswunden auf. Zum Großteil in den Beinen. Als ob die Angreifer sie an der Flucht hindern wollten. Umgebracht wurden sie dann mit geschärften Klingen. Alle Leichen waren aufgeschlitzt worden, genau wie es die Jäger mit dem Mädchen getan hatten. Aber das ist noch nicht alles. Sie haben sie grausam verstümmelt und ihnen die Gliedmaßen abgehackt. Augen wurden aus den Höhlen gerissen, Köpfe gespalten und abgetrennt. Sogar die Geschlechtsorgane der Männer haben sie abgeschnitten.«
»Himmel noch mal«, sagte Vivian leise.
»Und die Brüste der Frauen …«
»Ich will das nicht hören«, rief Vivian und legte sich die Handflächen über die Ohren. »Schluss damit! Es reicht, verdammt noch mal.«
»Ist ja gut, ich …«
»Was war mit den Frauen?«, fragte Cora. »Wurden sie vergewaltigt?«
Helen warf Vivian einen Blick zu und nickte. »Aber ordentlich«, sagte sie.
»Und die Cops haben niemanden dafür zur Rechenschaft gezogen?«, fragte Abilene.
»Sie vermuteten, dass die Familie des Mädchens dahintersteckte. Vielleicht auch der ganze Clan. Es muss wirklich eine Horde gewesen sein. Den Fußspuren nach zu schließen, waren es zwischen zwölf und fünfzehn Angreifer, unter ihnen auch Frauen und
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