Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
die Zahnbürste bei uns, weil wir ja nie wußten, wo wir aufwachen würden. Schon damals hatte Sanda mehr Energie als ich, immer war ich es, die am Ende die nächtlichen Gespräche irgendwann nur noch mit hm-hm kommentierte, bis sie dann verächtlich sagte, na gut, ich sehe, du bist schon wieder in der hm-Phase, also schlaf schön, und sich noch eine Zigarette anzündete, während ich einschlief. Und genauso ist es auch jetzt wieder. Wenn ich mich gegen Mitternacht von ihr in der MacDougal verabschiede, hat sie noch ein ganzes Programm vor sich.
Das nahe Zusammensein mit der alten Freundin und das Alleinleben in der Residenz haben etwas Merkwürdiges in mir ausgelöst. Ein längst vergangenes Leben stellt sich wieder ein, sozusagen vor meinen eigenen Augen verwandele ich mich in eine kinderlose, unverheiratete Studentin zurück und bin erschüttert, wie leicht und selbstverständlich ich diesen Zustand wieder als den natürlichen annehme. Das Sorgen, Horchen, Planen von Jahrzehnten fällt von mir ab, als wäre es nie gewesen. Ich gebe mit Bedauern,aber auch mit Erleichterung meine Rolle ab, das tragende Element eines statisch hochsensiblen, komplizierten Bauwerks zu sein, dessen Stabilität jeden Tag von neuem auf die Probe gestellt wird, das ständig erneuert und konserviert werden muß, damit es nicht einstürzt, und das Familie heißt. Außerdem kümmere ich mich gar nicht mehr groß um mich selbst, wie das Alleinstehenden wohl leicht geschieht. Ich vernachlässige mich und jede Form, sehe nicht ein einziges Mal am Tag in den Spiegel, bürste mir morgens nur mit zwei Routinestrichen die Haare, esse aus der Tüte, wickele die Butter nicht aus dem Papier, lasse den Berg ungewaschenen Geschirrs in der Spüle wachsen, ziehe mich nicht ordentlich an, sondern laufe in einem alten Sportdress herum, aus dem mein Sohn Ruben oder einer seiner Freunde herausgewachsen ist. Ich habe nie verstanden, wie sich in unserer Wohnung so viele Sportsachen anhäufen konnten, eine Hose von einem Freund, ein Sweatshirt von einem anderen, ein Jogginganzug von einem dritten, Socken ganzer Mannschaften und unzählige Sachen mehr, ich brauchte zwei weitere Leben, um sie abzutragen. Aber ich tue, was ich kann, deshalb habe ich den alten Sportdress mit nach New York gebracht, nicht etwa, um darin Sport zu treiben, sondern mich in das tiefe Sofa fallen zu lassen und den Tag damit zu verbringen, aus dem riesigen Fenster in den azurblauen Himmel und das überirdische Licht zu sehen, zu träumen, zu lesen und ersteinmal krank zu sein. Ich spreche viel mit mir selbst und mit Abwesenden in der Ferne und aus fernen Zeiten der Erinnerung und überlasse mich dem Wohlgefühl, in der Hauptstadt der Welt im Bett zu liegen. Allein und ledig. Ich habe mich oft gefragt, was das eigentlich für ein Wort ist, ledig. »Von Beschwerden, von Hemmendem frei, unverheiratet«, sagt der Weigand. »Herkunft des Wortes ungeklärt: Vielleicht aus dem Ahd. abgeleitet: Ausgang habend, d.h. frei von Gefangenschaft oder drückender Verpflichtung, aus dem Rechtsleben weiter entwickelt: unbehindert, unverheiratet, unbesetzt, leer«.
In New York gibt es sehr viele Juden, heißt es, aber wie soll ich die finden, mit denen ich Schabbes machen kann. Wenn Peter mich besuchen kommt, werden wir sie gemeinsam suchen gehen. In einer Synagoge taucht man sowieso besser mit einem Mann auf. Außerdem, nicht wir halten Schabbes, sondern Schabbes hält uns. Sagt der Talmud. Die Wahrheit dieser Weisheit kann ich bestätigen, und ich habe sie durch eine andere erfahren: naasse wenischma , »wir tuns und wir hörens«, wie Buber übersetzt. Manches versteht man erst, wenn man es tut. »Wir tuns und wir hörens«, mit dieser Formel haben die Kinder Israels am Berg Sinai das Gesetz der Tora angenommen, allerdings erst nach der Androhung, daß sie sonst unter dem Berg begraben würden, und weil die anderen Völkerdie Tora sowieso nicht wollten. Auch ich bin dabei gewesen, denn es heißt, »alle Menschen, die noch geboren werden sollten bis ans Ende der Welt, waren da und umstanden den Berg Sinai«.
Trotzdem zünde ich die beiden Kerzen, die ich mir mit Wachs auf einen Teller geklebt habe, nicht an, aus Angst vor einem Wohnungsbrand. Schließlich ist in allen Erzählungen von New York immer so viel von Bränden die Rede, wie es jeden Tag an vielen Orten zugleich gebrannt hat, und ich höre doch dauernd die Feuerwehrsirenen vor den Fenstern, und die Männer vom Fire Department sind
Weitere Kostenlose Bücher