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Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Titel: Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Honigmann
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auch hier kaufen kann, just come over to my office! Damit meint er das goldchromglänzende Fahrrad, das auf einem purpurroten Teppich mit bunten Ornamenten aufgebaut ist und eine Art Königssitz hat, auf den er sich manchmal setzt und stolz herumguckt. Come over to my office, everybody ! ruft er. Lacht, strahlt und singt und dreht dann auch einmal in der richtigen Richtung mit allen zusammen eine Runde. Da wirkt sie tatsächlich wie eine beschwingte brotherhood of men .
    Langsam wird es dunkel, die Kälte ist wieder deutlich zu spüren. Ich sehe auf die Uhr. Zwei Stunden habe ich dem Rollerblade-Rondo zugeschaut.
     
    Schnee und Regen sind vom Wind auf den Kontinent vertrieben worden und jagen sich jetzt gegenseitig bei den großen Seen, berichtet die New York Times. Die fast vierzig Fahrenheit, die wir wieder gewonnen haben, entsprechen den normal hights, schreibt sie und zeigt es in ihrer Wetterberichtsgraphik an.
    Das überirdische Licht strahlt wie am ersten Tag.
    Der Mann, der damals, am ersten Abend, in roten Hosen auf dem Balkon stand und rauchte, steht wieder in roten Hosen dort und raucht. Vielleicht hat er ja während meiner ganzen Residenzzeit dort gestanden, rauchend, in roten Hosen, und ich habe ihn nur nicht mehr beachtet. Auf dem Dach des Sport Center sprinten und laufen die Leute, und im Gymnastikclub turnen sie an den Geräten. Nur das Paar, das damals so intensiv miteinander gesprochen hat, lehnt nicht mehr am Fenster. Vielleicht leben sie jetzt in einem anderen borough zusammen. Vielleicht haben sie sich nie wiedergesehen.
     
    Eigentlich möchte ich gerne in New York bleiben, denke ich jetzt manchmal. Für immer, denke ich sogar manchmal.
    Nie mehr zurückkehren. Aus dem Kontinent meines alten Lebens auswandern. Nach Amerika.
    Nur diesen Satz sagen. Ob ich den Mut dazu hätte, frage ich mich jetzt manchmal.
    Geht es allen Menschen so, wenn sie ein paar Wochen in New York bleiben? Liegt es am überirdischen Licht, den Winden, den Strömungen, Strahlungen, geo- oder metaphysischen Energien?
    Dann müßte ich aber erst einmal richtig Englisch lernen, eine Sprache, die ich seit langem nur halb spreche, dreiviertel verstehe, ganz gut lese und wie eine Analphabetin schreibe.
    Englisch ist in Wirklichkeit die schwerste Sprache der Welt, haben meine Eltern immer gesagt, die es ja wissen mußten, denn sie hatten viele Jahre in England gelebt.
    Ich müßte dann hier ein richtiges neues Leben beginnen, auf die Leute, die jetzt meinen Weg nur kurz gekreuzt haben, zugehen, ihnen meine Freundschaft antragen, auf die ihre hoffen, ein Netz neuer Bekanntschaften aufbauen, Kontakte knüpfen, Kollegen kennenlernen, vielleicht würde sich ja eine der Begegnungen zu einer großen, schönen langen Freundschaft auswachsen. Vielleicht.
    Das möchte doch jeder! Alle Rollen des Lebens noch einmal umbesetzen können, Verwandlung, neuer Text, neues Dekor, eine andere Gestalt.
    Das ist doch nur mein Hang zum Dramatischen.
    Dennoch verachte ich mich für meine Ängstlichkeit und Bürgerlichkeit und bestrafe mich dafür, indem ich mich von allem trenne, was ich während meiner New Yorker Residenzzeit gesammelt und aufgehoben habe und was sich sonst so angefunden hat. Alle Artikel, die ich so sorgfältig aus der New York Times ausgeschnitten und in eine Mappe gelegt habe, alle Prospekte und Restaurantführer, Listen, Hefte, Pläne und Kataloge, Time Out und Heeb und Village Voice , all das zerknülle ich und zerreiße ich und werfe es weg. Alles, was ich habe aufheben wollen, um später meine Erzählungen illustrieren, meiner Erinnerung Anschauung und meinem Gedächtnis Halt geben zu können. Alle Zeugnisse meines New Yorker Daseins, auch die kleinen Dinge des täglichen Lebens, die sich im Laufe der Wochen angesammelt haben; weder das Tylenol noch das Horsradish -Glas, weder Haarshampoo noch Wollhandschuhe oder Klebeband bleiben verschont. Im Rahmen meiner Möglichkeiten veranstalte ich in meiner Residenz eine kleine Orgie, in der sich mein Besitzwunsch, meine Versagenslust, mein Opferwille und meine Zerstörungswut austoben können.
    Nur das One-Subject-Notebook , in dem ich das alles aufgeschrieben habe, hat meine Orgie überlebt.
     
    Jetzt liegt es vor mir. Noch immer steigt und versinkt die Erinnerung an die Zeit in New York in wellenartigenSchüben auf und ab. Noch treibt sie wie eine Insel ungebunden herum, ohne an eines der großen Erinnerungsterritorien anzudocken.
    Sanda schreibt mir, daß die Bar mit meinem

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