Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Stunden ein Tylenol, bemitleide mich und finde es irgendwie schön, allein und krank zu sein, doch mit einer engen Freundin in der Nähe, in einer fremden Stadt, die vor meinem Fenster im Sturm schwankt und nicht in Iowa liegt, während ich mich durch Erinnerungen und Eindrücke der verschiedensten Lebensepochen hindurchphantasiere. Die Fenster rütteln, die Katzen und Hunde, die die Wohnung besetzt halten, jammern und jaulen, aber über mir spielt jemand Klavier. Gegen Abend kommt Sanda herübergestürzt, um mir eine Suppe zu kochen, die mir guttun und mich kräftigen wird, wie sie sagt und wie es meine Mutter auch immer gesagt hat. Dazu geht sie erst einmal in den Supermarkt, der sich gleich am Fuße meines Pei-Turms befindet und neben dessen Eingang über die ganze Breite der Nordwand ein buntes Fresko in mexikanischer Art gemalt ist, auf dem sich all die Bohème-Legenden des Village zu einem Fest eingefunden haben, Dylan Thomas und George Gershwin, Jackson Pollock und Bob Dylan, Allan Ginsberg und Mark Rothko und manche, die ich gar nicht kenne. Sie kommt mit einem Hühnchen, Gemüse und Suppengrün zurück, aber leider hat sie nicht darauf geachtet, ob es auch ein koscheres Hühnchen ist, dabei muß man sich hier wirklich Mühe geben, nicht koschere Lebensmittel zu finden,denn seit vielen Jahrzehnten überwacht die »Orthodox Union« die genaue Zusammensetzung aller nur möglichen Lebensmittel der verschiedensten Hersteller und setzt ihren »Stempel«, ein winziges U, das von einem ebenso winzigen O eingekreist ist, neben die Angaben der Ingredienzien, ein Zeichen, das niemand bemerkt, der es nicht sucht. Der, der es sucht, wird allerdings manchmal durch ähnliche Zeichen irregeführt, von denen einige gültig, andere nicht gültig und reiner Betrug sind, denn die Koscherstempel erfreuen sich mit dem wachsenden Mißtrauen gegen die Zusammensetzung von Lebensmitteln immer größerer Beliebtheit, und deshalb denken manche Hersteller, ein Koscherstempel oder etwas, was so ähnlich aussieht, könnte ihrem Produkt nicht schaden, unwissenden Hypochondern jedoch Vertrauen einflößen.
Sanda geht also noch einmal hinunter und kauft ein koscheres Huhn und kocht es mir mit dem Gemüse und tut noch ein paar Nüdelchen hinein, wie eine richtige Mutter. Wahrscheinlich fehlen ihr ihre Kinder auch manchmal so wie meine mir. Dann muß sie schon wieder los, zu irgendeiner Probe oder einem anderen date in der Musikszene, doch sie verspricht, danach gleich wieder anzurufen.
Schon in der DDR hat Sanda in öffentlichen und nicht öffentlichen Konzerten gesungen und sogar eine Schallplatte aufgenommen oder zwei, doch dann, als sie in denWesten kam, ihre Karriere nicht richtig weiterverfolgt, weil sie zu viele andere Dinge zu tun hatte, und erst hier in New York, mit fünfzig, hat sie wieder richtig mit der Musik und dem Singen angefangen. Inzwischen hat sie schon einige CD’s aufgenommen, dafür will sie nun ein Label finden, und im Musikgeschäft geht es natürlich hart zu, wie in jedem anderen Geschäft, da muß sie jetzt sehr busy sein. Seit uns das Leben, die Phrase klingt zu schön, vor vielen Jahren in Berlin getrennt hat, haben wir immer in verschiedenen Städten und Ländern, die weit voneinander entfernt sind, gelebt, und außerdem hatten wir ja Männer und Kinder und Arbeit, um die wir uns kümmern mußten. Schon deshalb konnten wir uns nicht oft sehen, weil das jedesmal größere Reisen und Organisation erfordert hätte, für die wir weder die Zeit noch das Geld und auch nicht die Kraft hatten.
Inzwischen haben wir nun mehrere Lebenskurven umrundet, einige historische Epochen von Familienkonstellationen liegen hinter uns, unsere Kinder sind erwachsen, und unsere Männer gehen in Europa ihrer Arbeit nach. So kommt es, daß unser unverhofftes Zusammensein in New York auf einmal so ähnlich wie das damals in Berlin ist. Vor dem Verheiratetsein, vor den Kindern, als wir noch ledig waren. Wir rufen uns mehrmals am Tag an, sehen uns dauernd und hinterlassen uns dazu noch lange Nachrichten auf der anwsering machine . So wie in der Zeit, als es indem engen Berliner Freundeskreis keinen Anfang und kein Ende des Zusammenseins und niemals »Verabredungen« gab, denn die Clique lebte und bewegte sich mehr wie ein einziger, vielarmiger und mehrköpfiger Körper. Mal schlief meine Freundin bei mir, mal ich bei ihr, oder wir beide schliefen bei einem dritten, oder wir schliefen zu dritt bei einem vierten, jedenfalls trugen wir immer
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