Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Lebensform toleriert wird, aber Dicksein, das ist Sünde.
* schöner Arsch, nette Schnauze
Der Schriftsteller Pascal Bruckner spricht an diesem Abend. Er rechnet mit seinem französisches Heimatland – nein, kanzelt es ab, wie lahm, wie auf den Hund gekommen, wie konservativ vor allem die Linke sei, je linker, desto konservativer, bloß nichts verändern, niemals experimentieren. »Die Franzosen müssen immer erst eine Revolutionveranstalten, um eine Reform zustande zu bringen«, zitiert er Raymond Aron, und wir würden bald erleben, nur noch zwischen Links- und Rechtsextremen wählen zu können. Diese negative Bilanz trägt er mit so großer Enttäuschung und Bitterkeit in der Stimme vor, daß ich schon befürchte, er werde auf offener Bühne in Tränen ausbrechen. Aber beim anschließenden Cocktail, im angeregten Gespräch mit den schönen und schlanken New Yorkern, schien er sich wieder gefangen zu haben.
Die kleine Washington Mews, in der sich das French und das German House gegenüberliegen, geht vom University Place ab, der aber eine normale Straße ist. Auf der anderen Straßenseite – das ganze Areal um den Washington Square herum ist ja eigentlich Campus – erhebt sich ein großes Gebäude der New York University, in dessen unteren Geschossen sich verschiedene Cafeterias befinden und auch die koschere Mensa, in die ich manchmal essen gehe, weil das praktisch ist und meine visiting scholar card mich dazu berechtigt. Die koschere Mensa heißt hier Eatery, und es gibt an jeweils bestimmten Wochentagen entweder »fleischiges« oder »milchiges« Essen, dafür haben sie zwei Küchen, in denen abwechselnd gekocht wird. Außerdem kann man sich für 9.99 $ im voraus ein Voucher für ein Schabbes dining kaufen, so daß man am Schabbes nicht verbotenerweise mit Geld herumhantieren muß, sondern sich an den gedeckten Tisch setzen kann. ImFoyer liegen außerdem Dutzende von Blättern, Blättchen, Anzeigen, folders und leaflets on behalf of, about, concerning jewish life in New York, das sich in so vielen Formen, Strömungen, Richtungen und Verzweigungen darbietet, daß man sie so wenig überschauen kann wie die Stadt selbst.
Zwischen dem Deutschen Haus, der Maison Française und der koscheren Mensa finde ich mich also in einem Perimeter von weniger als zwanzig Metern in genau dem magischen Dreieck wieder, in dem sich mein Leben nun schon seit so vielen Jahren abspielt. Vielleicht gehört das auch zu den metaphysischen Phänomenen dieser Stadt, daß sich hier jeder zugleich in der Fremde, aber doch nicht völlig entwurzelt fühlen muß. Deshalb nennen sich all die Einwanderergruppen ja auch so stolz Chinese-Americans oder Italo-Americans oder wie auch immer - Americans , denn so stolz sie sich auch als American citizens fühlen, leben sie doch noch über mehrere Generationen hinweg in der Verklärung der alten Heimat und huldigen ihr in irgendeinem Kult oder einer Feierlichkeit. Darin, und vielleicht nur darin, unterscheidet sich die jüdische Community auffällig von allen anderen Communities, daß sie das nicht tut. Sie huldigt keinem Land, aus dem sie ausgewandert, geflüchtet oder vertrieben worden ist, jedenfalls nicht, wenn sie aus Rußland, Polen oder dem übrigen Osteuropa gekommen ist. Nur die deutschen Juden bilden wieder einmal eine Ausnahme, sie allein trauern der alten Heimatnach, haben Sehnsucht nach »Kaffee und Kuchen« und Gesprächen unter gebildeten Leuten. Jüdische Einwanderer aus Deutschland haben sich in Amerika lange immer genau da niedergelassen, wo sie ihre Nachbarn aus der Pfalz oder dem Rheinland wiedertrafen. In St. Louis/ Missouri zum Beispiel, das im 19. Jahrhundert eine große deutsche Stadt war, von der das deutsche Reformjudentum seine Ideen nach Amerika hineintrug und immerhin zur zahlenmäßig bedeutendsten unter den religiösen Strömungen werden ließ. Und wenn man ihre Choräle mit Orgelbegleitung hört, könnte man fast von einer deutschjüdischen Symbiose sprechen.
Ein gewisser Tagesrhythmus und ein paar Gewohnheiten haben sich bald eingestellt. Das gefällt mir, gerade, weil ich gar nichts Aufregendes erlebe, sondern mich mit den alltäglichen Handlungen in die Stadt einschreibe. Denn so ist es nun mal, daß uns das Nebensächliche und Unwesentliche, eben die Gewohnheit, Halt gibt, wie auch Goethe im Wilhelm Meister sagt. New York ist viel zu hoch, zu tief, zu breit, zu unförmig, zu unordentlich und zu kochend, als daß du wissen könntest, wo du den pot packen
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