Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
kannst, wo er seine Henkel zum Festhalten hat. Da schwimmst du eben einfach ein bißchen in der Suppe mit. Aber der melting pot , als den sich Amerika so lange sah, ist, wie ich aus Artikeln, dem Fernsehen und Gesprächenlerne, inzwischen durch die Salatschüssel ersetzt, wo die Zutaten nicht mehr verkocht werden, sondern sich alle möglichen Gemüse und Gewürze, jedes in seiner Eigenart, zu einer neuen Gesamtkomposition zusammenfinden.
Mindestens eine Stunde lang täglich lese ich die New York Times, am intensivsten die Metro Section , was die Lokalseiten sind, die mich über das Leben in den five borroughs informieren. Europa kommt in der Zeitung wenig vor, das paßt zu meinem Wohlgefühl der Entfernung. Ich schneide jede Menge Artikel aus und sammle sie, mit meinen Anstreichungen versehen, in einer Mappe, weil ich sie später Peter oder den Kindern oder Freunden zeigen oder einfach aufheben möchte. Oft finde ich Artikel zu jüdischen Themen in der Metro Section , deren Lektüre mich auf meine Begegnung mit dem New Yorker jüdischen Leben vorbereitet. Die New York Times ist in einem irgendwie sogar altmodischen erzählenden Ton geschrieben, jedenfalls in keinem Jargon, und man muß nicht schon alles wissen, um die Artikel zu verstehen, wie das sonst bei den meisten Zeitungen der Fall ist. Wenn ich zum dritten Mal auf ein unbekanntes englisches Wort stoße, schlage ich es im Webster nach, der in der Residenz ausliegt, und lese mich natürlich fest. Erst danach setze ich mich an meinen Laptop und arbeite an dem mitgebrachten Manuskript, mit dem Blick auf die Sportler, die auf dem Dach des Sport-Center ihre Runden drehen, oder mache mir Notizenin dem One-Subject-Notebook , das ich mir bei Staples gekauft habe, nachdem ich dort mindestens eine Stunde alle Papierwaren und Schreibwerkzeuge genau betrachtet, befühlt und befaßt habe. Denn etwas Schöneres als ausländische Schreibwaren findest du nicht!, und trotz Computertechnik sieht ein amerikanischer Schreibwarenladen noch genauso aus wie vor fünfzig, wenn nicht hundert Jahren. In dem Notebook versuche ich mich ein wenig als »müßige Reisende« zu verankern, zu denen ich mich nach den Kategorien von Laurence Sterne zählen muß, und diese Zeit festzuhalten, gleich in dem Moment, wo sie nicht mehr Erleben und noch nicht Erinnerung ist.
Manchmal sehe ich auch fern, aber nicht allzu fern. Mein Lieblingssender ist MNN, Manhattan Neighbourhood Network , ein lokaler Nachbarschaftssender also, in dem sich, von keiner Professionalität angehaucht und ohne Werbung, alle Klassen und Rassen, Minoritäten, Schichten, Glaubensrichtungen, Bürgerinitiativen, movements und associations darstellen und ihre Botschaften, Probleme und Meinungen verbreiten und diskutieren. Fast wie im richtigen Fernsehen sitzen sie um einen Tisch oder auf Sofas und Sesseln, und ihre Anliegen sind politisch und nachbarschaftlich, städtisch und gesellschaftlich, was ja alles dasselbe ist, ich erfahre eine Menge über all die minorities und movements und initiatives und schnappe nebenbei noch viele verschiedenen Akzente auf.
101 Fahrenheit
Ich hatte schon vorausgesehen, daß ich nach den Aufregungen der Reise und des Eingewöhnens vor lauter Erschöpfung erst einmal krank werden würde, ich kenne mich doch, und hatte mir deshalb gleich am Flughafen das legendäre Tylenol gekauft, in das ich ebenso viel Vertrauen setze wie meine Eltern in Veganin, das sie während der Emigrationszeit in England kennenlernten und an dessen Schlagkraft sie ebenso fest glaubten wie an die Schlagkraft der RAF; sie wußten es sich noch Jahrzehnte nach ihrer Rückkehr in Packungen zu 100 oder 300 Pillen zu beschaffen, um damit alle echten und eingebildeten Krankheiten zu heilen.
In den Schubladen meiner Residenz findet sich zum Glück ein Thermometer, ein digitales, wie Fieberthermometer heutzutage sind. Ich habe 101 Fieber. Fahrenheit. Eigentlich verstehe ich nicht, warum die Amerikaner alle Maße, Gewichte und sonstigen Maßeinheiten ihrer ehemaligen Kolonialherren beibehalten haben. Warum fahren sie dann nicht auch links, da sie doch auch englisch sprechen. Im Moment verstehe ich allerdings gar nichts mehr. Seit vielen Jahren habe ich kein Fieber mehr gehabt, und nun gleich 101. Fieber hatten immer nur die Kinder, ich habe ihnen dann Wadenwickel gemacht und Kamillentee gekocht.
Eigentlich fühle ich mich sogar wohl im Fieberzustand, den ich so lange nicht mehr erlebt habe. Ich bleibe im Bett, nehme alle paar
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