Das unendliche Blau
Wasserflasche, die neben dem Herd steht, und steckt sie in ihre Tasche.
Als sie im Flur ihre Mäntel anziehen, hören sie den Hund bellen. Dann hören sie Lina lachen.
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20
D raußen gehen sie zu dem alten Lancia. Hand in Hand. Der Kies knirscht unter ihren Schritten.
»Bitte, fahr du.« Martha hält ihm die Autoschlüssel hin.
Im Wagen ist es kalt. Sie greift nach hinten auf die Rückbank und holt eine Decke hervor, in die sie sich einwickelt. Sie zittert, und ihre Zähne schlagen leise aufeinander.
Michele startet den Motor und dreht die Heizung hoch. Begleitet von dem Geräusch des Gebläses fahren sie rückwärts aus der Einfahrt. Auf der Dorfstraße lassen sie sich langsam im Leerlauf bergab rollen. Dann legt Michele den dritten Gang ein, der Wagen scheint sich ihrem Tempo anzupassen. Sie haben es nicht eilig.
Auf der Nationalstraße ist um diese Zeit kaum jemand unterwegs. Marthas Blick folgt den weiß leuchtenden Streifen, die rechte und linke Fahrbahn voneinander trennen. Ihr Blick ist wach, hellwach. Einige Tankstellen haben noch oder schon wieder geöffnet. Sie werfen für Momente ihre Neonfarben in die Nacht. Martha muss an die Tankstelle denken, an der sie diesen dünnen Kaffee trank, bevor sie die Grenze nach Italien passierte.
Michele achtet darauf, dass die Tachonadel ruhig bei achtzig Stundenkilometern liegt. Ab und an sieht er nach rechts hinüber zu Martha, die in ihre Decke eingehüllt dasitzt. Das Zittern hat nachgelassen. Sie ist froh, dass die Schmerzen heute ausbleiben und die Angst. Vielleicht ist es das Haschisch, das sich wie eine zweite Decke sanft um ihre Gedanken legt, dort in Watte packt, wo bislang immer wieder spitze Panik eingebrochen ist.
Sie reden nicht, es wurde so viel geredet in dieser Nacht, jetzt gönnen sie sich etwas Schweigen. Die Art Schweigen, das zwei Menschen einander noch näherbringt, weil mit dem Ungesagten alles gesagt ist. Während der Wagen durch die Dunkelheit gleitet, spult der letzte Abend noch einmal vor Marthas Augen ab. Ein Abend, der alles aufgefahren hat und nun sanft in die Vergangenheit abtaucht. Wie ein schöner Film, den man mit auf die Straße und nach Hause nimmt, nachdem man das Kino verlassen hat.
Marthas Hände, die locker in ihrem Schoß liegen, sind warm geworden. Einmal legt sie ihre Linke in Micheles Nacken, streichelt die Härchen, die sich dort sofort erwartungsvoll aufstellen. Sie liebt diesen Flaum, der über eine kleine Kuhle Richtung Rücken läuft. Sie liebt es, Küsse daraufzusetzen, und sie weiß, wie sehr er es liebt, wenn sie das tut.
Er räuspert sich.
Sie spürt, dass er etwas sagen will, und sieht ihn erwartungsvoll an. »Dein Mann … Hans …«, beginnt er.
»Hans ist schon lange nicht mehr mein Mann«, erklärt sie.
»Ich glaube, er mag dich immer noch.«
»Er mag mich wieder, und darüber bin ich froh. Ach, Michele, du bist doch nicht etwa eifersüchtig?«
»Nein, nein, aber …«
»Wir haben etwas zu Ende gebracht und zum Schluss noch mal einen Anfang gemacht. Man könnte auch sagen, wir haben unseren Frieden gemacht. Mein Gott, nach all den aberwitzigen Kämpfen der letzten Jahre …«
»Deine Tochter kämpft immer noch, scheint mir.«
Sie schließt für einen Moment die Augen. »Ja, aber das ist jetzt ihr eigener Kampf. Und sie wird ihn ohne mich führen müssen. Ich hoffe nur, dass sie sich mehr öffnet, mehr zulässt in ihrem Leben.«
»Bei Silvio hat sie’s zumindest versucht.«
Martha zieht die Augenbrauen hoch. »Was hältst du davon?«
Er zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Silvio ist mein Freund, aber er hat seine Probleme mit Frauen. Ein Suchender, aber keiner, der findet.«
»Ob er Lina findet, werde ich nicht mehr erfahren.«
Sie spürt, wie sich etwas in ihm verkrampft, sie spürt es an seiner Atmung, die plötzlich flacher wird. »Wie meinst du das?«, fragt er stockend.
Sie legt ihre Hand wieder in seinen Nacken. »Das weißt du doch«, entgegnet sie leise.
»Aber du bist doch noch da.« Er bringt es fast trotzig hervor.
Sie spürt, wie ihre Augen feucht werden. »Lass uns aufhören festzuhalten«, sagt sie schließlich. »Es kostet einfach zu viel Kraft.«
Werde ich die Kraft haben?, fragt sie sich im selben Moment. Die Kraft, loszulassen. Sie weiß, dass ein Morgen wie dieser nicht wiederkommen wird. Ein Morgen nach einer Nacht, die ihr alles gegeben hat. Sie weiß das, und trotzdem ist da noch immer etwas in ihr, das nicht wahrhaben will, was sich als Wahrheit so
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