Das Ungeheuer von Florenz
er ein bißchen verrückt oder hysterisch. Vielleicht deute ich ja zuviel in alles hinein, weil so viel von dem Erlös abhängt – ungefähr vierzig Millionen Lire. Andererseits aber, warum s ollte Benozzetti sich dafür interessieren? Er hat dabei ja weder etwas zu gewinnen noch zu verlieren. Auf alle Fälle entschuldige ich mich schon im voraus, wenn ich Sie, wie ich es vorhabe, heute abend störe, aber nur kurz.
Natürlich hatte Marco ihn nicht erreicht. Der Maresciallo schaute jetzt immer wieder auf die Uhr. Die Auktion war bereits im Gange, wenn nicht schon vorüber. Hatte denn niemand Marco von dem anonymen Brief erzählt? Hatte Benozzetti inzwischen irgendeinen Skandal angezettelt?
Der Maresciallo wollte sich auf das konzentrieren, was sich vor seinen Augen abspielte, denn im Augenblick konnte er für Marco sowieso nicht viel tun, und im Zusammenhang mit dem Bild konnte er ebenfalls nicht viel unternehmen. Der ihnen gegenübersitzende Mann log seiner Meinung nach, wenn er nur den Mund aufmachte, und es würde sich jeden Moment eine schreckliche Szene vor ihnen abspielen, wenn der Verdächtige hereingebracht und ihm gegenübergestellt wurde.
Noferini, der junge Kollege, war nun auf den Beinen und verteilte fotokopierte Landkarten des betreffenden Gebiets. Der Maresciallo nahm seine in die Hand und behielt weiter Nenci im Blick, der, auf der anderen Seite des Tisches sitzend, eine Haltung zu wahren versuchte, als sitze er in einer Bar und vertreibe sich die Zeit. Nenci war ein großer, kräftig gebauter Mann, ein wenig pockennarbig. Er hatte den einen Fuß auf Kniehöhe lässig über das andere Bein gelegt, und der Fuß verriet seine Erregung, denn er wippte ständig auf und ab. Nenci hatte schon eine Hand auf den Knöchel gelegt, doch der Fuß hielt trotzdem nicht still. Er lehnte sich weit nach hinten zurück, kippelte ab und zu mit dem Stuhl, als betrachte er geistesabwesend die Decke. Ein- oder zweimal sah der Maresciallo, daß Nenci die Lippen schürzte, als wolle er gerade ein Liedchen pfeifen, aber er schien sich rechtzeitig zu besinnen, daß dies wohl doch fehl am Platz war, auch wenn es dazu dienen konnte zu demonstrieren, wie wenig ihn dies alles berührte.
Der Maresciallo wunderte sich über dieses Schauspiel. Nencis Geschichte begann damit, daß er am 9. September 1985, einem Sonntag, abends mit dem Auto von einem Wochenendausflug ans Meer zurückgekehrt war, den er mit seiner Familie gemacht hatte. Er hatte die Strecke beschrieben, die er heimwärts gefahren war, und an einer Stelle war eine von links kommende Straße eingemündet, die direkt vom Schauplatz des Mordes an dem französischen Paar herführte. Auf dieser von links heranführenden Straße war der Verdächtige in seinem Auto unterwegs gewesen. Beide Wagen hatten die Einmündung fast zur gleichen Zeit erreicht, und Nenci hatte das Gesicht des anderen Fahrers ziemlich deutlich gesehen.
Dies alles konnte wahr sein oder auch nicht. Der Verdächtige war aufgefordert worden, ein Alibi für jene Nacht vorzuweisen, und hatte dies auch getan. Wasserdicht konnte man dieses Alibi allerdings nicht nennen. Für den Maresciallo hörte sich das alles an wie ein nur allzu bekanntes Lied. Wie war es möglich, daß nach fünf Jahren jemand auf der Bildfläche erscheint, der sich ziemlich sicher ist, den Verdächtigen in jener Nacht in der Nähe des Tatorts gesehen zu haben? Glaubhaft war das nicht.
Natürlich hatte man Nenci die Frage gestellt. Und vor Gericht würde man sie ihm noch einmal stellen.
»Sie haben sich viel Zeit gelassen, damit herauszurücken.«
»Es hat mich ja niemand danach gefragt. Außerdem ist mir die Erinnerung erst gekommen, als ich erfuhr, daß Sie ihn verdächtigen.«
»Aber das kann Ihnen doch nur eingefallen sein, weil Sie ihn selbst verdächtigt haben.«
»Vielleicht habe ich ihn ja verdächtigt. Ich hörte am Abend darauf in den Nachrichten von dem Mord, und da fiel mir ein, daß ich ihn gesehen hatte. Auf der gleichen Straße. Es ist doch normal, daß so etwas einem dann einfällt. Er wohnt nicht in unserer Gegend. Was macht er also dort? Es ist mir eben aufgefallen, mehr nicht. Und dann in meinem Kopf haftengeblieben, verstehen Sie? Klar, ich hätte schon damals zu Ihnen kommen sollen. Bloß tut man so etwas eben nicht. Aber dann habe ich sein Foto in der Zeitung gesehen und bekam ein schlechtes Gewissen deswegen.«
Für einen Augenblick schwiegen alle. Simonetti hatte sich zurückgelehnt und sah Noferini zu, der
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