Das Ungeheuer von Florenz
gehört, könnte er es mitnehmen und sagen, er habe es dagelassen, um es schätzen zu lassen.«
»Und du würdest es ihn mitnehmen lassen?«
»Aber sicher. Dann wäre ich das Problem los.«
»Hm.«
Der Maresciallo war sich da nicht ganz so sicher, aber da Marco auch allein weitermachen würde, wenn er es ihm abschlüge, und da, wenn er ganz aufrichtig sein wollte, auch seine Neugier geweckt war, sagte er zu. Er bezahlte seinen Kaffee.
»Ich würde gern… Ich suche die Via dei Della Robbia…«
»Gleich dort rechts.«
»Sie kennen nicht zufällig einen Mann namens Benozzetti – ich bin nicht sicher, ob ich die richtige Hausnummer habe –, Ivo Benozzetti?«
»Nie gehört, sonst wüßte ich den Namen noch, er ist ein bißchen ungewöhnlich, nicht? Natürlich erinnert man sich nicht an den Namen von jedem, der auf einen Kaffee hereinkommt. Vielleicht kenne ich ihn ja vom Sehen.«
»Er ist Künstler, glaube ich.«
»Künstler? Die Zeiten, wo das hier ein Künstlerviertel war, sind lange vorbei. Außer den Straßennamen ist davon nichts geblieben.«
»Trotzdem, vielen Dank.«
Als er in der Dunkelheit auf die kleinen Lämpchen der Klingelknöpfe spähte, fragte er sich, ob es, auf lange Sicht, vielleicht besser wäre, sich als Maresciallo der Carabinieri vorzustellen und nicht als Freund der Familie. Beides, beschloß er, und drückte mit seinem dicken Zeigefinger fest auf die Klingel. Er hatte genug Lebenserfahrung, um zu wissen, daß es keine bessere Waffe als die Wahrheit gab, wenn man jemanden täuschen wollte.
»Ja?«
Der Maresciallo beugte sich nach unten, um in das Mikrofon zu sprechen. »Guarnaccia, Maresciallo der Carabinieri. Wohnt hier Benozzetti, Ivo? Auf dem Klingelschild steht nur I. B.«
Zunächst kam keine Erwiderung, dann sagte die Stimme: »Warten Sie bitte.«
Er wartete fast fünf Minuten, doch er wäre, falls nötig, auch eine geschlagene Stunde dort stehengeblieben und hätte sich nicht gerührt. Er läutete auch nicht noch einmal. Er war so etwas gewohnt, und ihm war es gleich, ob es ein ehemaliger Häftling war, der eine Pistole hinter einem Stein im Kamin versteckte, oder ob eine Hausfrau die Kissen zurechtrückte und sich die Schürze abband. Vor dem Auge des Gesetzes hat jeder etwas zu verbergen, vom Premierminister bis zum Landstreicher.
Das Gittertor öffnete sich mit einem Klicken, und die Eingangstür am Ende des zwischen dichten Lorbeerbüschen hindurchführenden Wegs wurde erleuchtet. Sie ging gerade so weit auf, daß er sich in den Türspalt stellen konnte, ohne daß der Mann, der sie aufhielt, für die Außenwelt sichtbar geworden wäre.
»Ja?«
Er stand nun hinter der fast wieder geschlossenen Tür und schien nicht gewillt, den Maresciallo weiter in die elegante hohe Eingangshalle vordringen zu lassen. Wie gut, dachte der Maresciallo, daß ich beschlossen habe, mich als Carabiniere vorzustellen. Der Mann konnte sich selbstverständlich auch weigern, ihn einzulassen, doch einem Carabiniere den Zutritt zu verwehren würde einen schlechten Eindruck machen, Aufmerksamkeit erregen. Jemandem, auf dessen Klingelschild nur I.B. stand, war nicht daran gelegen, Aufmerksamkeit zu erregen. Der Maresciallo blieb ohne ein Wort stehen, füllte den Eingang mit seiner massigen Gestalt aus, ebensowenig bereit, sich wieder zu entfernen, wie die Bäume hinter ihm. Er wahrte sein Schweigen, bis der Mann gezwungen war, es zu brechen.
»Gab es einen Einbruch in dem Gebäude? Einen Unfall? Ich habe nichts gehört.«
»Einen Unfall, nein…«
Andere Möglichkeiten offenlassend, fügte er hinzu: »Ich glaube, wir sollten im Haus sprechen. Ich werde Sie nicht lange aufhalten.«
Die Tür öffnete sich daraufhin so weit, daß er eintreten konnte, doch Benozzetti trat, wie der Maresciallo bemerkte, zurück, so daß man ihn von der Straße aus nicht sehen konnte. Der Mann litt entweder an Verfolgungswahn oder… Die andere Erklärung, die im Kopf des Maresciallo schon halb Gestalt gewonnen hatte – daß der Mann irgendwie gezeichnet oder verunstaltet war –, erwies sich, als die Tür geschlossen wurde, als falsch. Benozzetti sah sehr gut aus, war kräftig und muskulös, sein graues Haar war glatt und sein Gesicht frisch rasiert. Er trug einen makellosen und sehr teuer aussehenden Anzug. Der Maresciallo nahm dies alles auf, obwohl er den Mann gar nicht anzublicken schien. Man konnte meinen, daß er die großen Pflanzen, die in Messingübertöpfen auf dem gesprenkelten Marmorboden standen, und
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