Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
Schuld empfand. Es waren eher funktionale Gedanken, die durch seinen Kopf jagten.
Er hatte Leben beendet. Mit einem Messer. Wo war es?
Nicht hier. Sehr gut. Er konnte nicht mit einer Mordwaffe herumlaufen.
Aber sie hatten ihn sicher ohnehin schon im Visier. Die Kameras waren überall.
Aber bisher hatte ihn keiner aufgegriffen. Also hatten sie ihn noch nicht gefunden.
Es hatte auch Feuer gegeben gestern Nacht. Und viele Menschen. Viel Panik.
Vielleicht hatte er eine Chance. Er musste nach Hause.
Er konnte nicht in blutiger Kleidung gehen. Er musste etwas zum Anziehen finden.
Vor sich hinmurmelnd, hastete er durch die kleinsten und finstersten Gassen, die er finden konnte, bis ihm schließlich das Glück hold war. Durch eine aufgebrochene Tür sah er Kleidungsstücke, die zwischen anderem Gerümpel auf dem Boden lagen. Sie waren definitiv für einen kleineren Mann als ihn gedacht, doch den Mantel würde er tragen können, um darunter seine eigenen Sachen vor den Blicken anderer zu verbergen.
Schnell griff er danach und warf ihn sich um die Schultern. Der muffige Geruch war allerdings kaum besser als der seiner eigenen, von Blut und Schweiß durchtränkten Kleider.
Wenn er erst einmal zu Hause war, würde er sie allesamt verbrennen und sich selbst eine heiße Dusche gönnen. Dann konnte er immer noch über seine Taten in der vergangenen Nacht nachdenken.
Er stank und war entsetzlich anzusehen, doch niemand hielt ihn auf, als er den Lift seines Hauses betrat. An diesem Morgen gab es keinen, der ihn beachtet hätte.
Das Chaos war über die Stadt hereingebrochen.
Mit Entsetzen und Abscheu verfolgte Peron die Berichte, die Lorio ihm freudestrahlend präsentierte. Die Kamera, deren Bilder gerade gezeigt wurden, war von Blut und Staub befleckt, was die Szenen, die sich vor der Linse abspielten, nur umso grausamer machte.
Was den Abt an diesen Gräueltaten derart begeisterte, konnte er bei allem Willen zur erfolgreichen Spionage nicht nachvollziehen, und das war ihm wohl auch deutlich anzusehen.
„Du begreifst nicht, was das für uns bedeutet, nicht wahr, Peron?“
Er begriff sehr gut. Ein Bürgerkrieg würde bald aufflammen, wenn er nicht bereits im Gang war. Hunger, Blut und Tod waren die Folge, und darin sah er ganz und gar nichts Gutes.
„Sie werden verzweifeln, Angst haben, Schutz suchen. Das ist genau, was wir gebraucht haben! Sie werden uns die Türen einrennen, uns ihr Geld zuwerfen, nur um sich sicher zu fühlen.“
Nein, dachte Peron. Sie werden Mittel brauchen, mehr als wir haben. Doch er sagte kein Wort davon. Angesichts der drohenden Katastrophe und den Ausmaßen, die dieser Konflikt angenommen hatte, schienen ihm die Zwistigkeiten im und um das Kloster völlig belanglos.
Wozu weiter intrigieren? Bald würden die Puristen mit Sicherheit auch vor den Gebetsstätten nicht mehr halt machen. Lorio trieb sich selbst ins Unglück, Peron jedoch wurde an anderer Stelle sicher dringender benötigt.
Wortlos ließ er den jungen Priester allein zurück mit den Schreckensbildern, die dieser immer noch fasziniert verfolgte, und ging los, um sich mit Istor und den anderen zu beratschlagen.
In den Tagen, die dem Fall des Centers folgten, wuchs das Misstrauen immer weiter. Viele hatten zu große Angst, um zur Arbeit zu gehen. Wer es sich leisten konnte, verbarrikadierte sich mit seinen engsten Angehörigen. Wer konnte schon wissen, wie die anderen zu den Anschlägen standen?
Mittlerweile fürchteten auch zahlreiche Arbeiter die Reinen und verfluchten ihre Aktionen. Einige wenige äußerten sogar vorsichtige Andeutungen, sie würden sich an einem Gegenschlag beteiligen, doch die meisten fügten sich in ihrer furchtsamen Apathie auch diesem neuen Schicksal.
Allerdings gab es auch genügend Leute, denen der Fall des N4-Centers umso größeren Respekt eingeflößt hatte. Sie flüsterten von der gottgewollten Rache und fanden Bestätigung in einigen der radikaleren Gebetshäuser. In dem Attentat sahen sie den gerechtfertigten Zorn der Unterdrückten. Normalgeborene als Opfer? Wer glaubte schon den Medien. Die Klone waren schließlich der Feind. Die Klone waren es, die von den Reinen vernichtet wurden! Alles andere war bloß Kollateralschaden – Menschen, die ihr Leben zu nah an den oberen Schichten lebten. Man müsste die Regierung stürzen, war sie neben der Wissenschaft doch die zweite Wurzel allen Übels. Ohne sie wären all die Opfer nicht notwendig gewesen.
Zu den gehobenen Schichten dagegen
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