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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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zu vollziehen.“
    Niove musste gegen die in ihr aufkeimende Übelkeit ankämpfen, als sie begriff, welche Gedankengänge er ihr soeben unterstellt hatte. Selbst in der extremen und frühreifen Welt der Klone galt sie immer noch als Halbwüchsige, doch das schien dem Vorsitzenden wenig zu bedeuten. Sein Blick wanderte über ihren schmalen Körper.
    Sie wusste, dass ihre Entscheidung diesmal endgültig war, aber sie benötigte auch keine Bedenkzeit mehr. Zweifel hatte sie keine einzige Sekunde lang, als sie Reszar zwischen den endlosen Reihen an erbarmungswürdigen Lebewesen zurückließ und die Aufzugtüren ohne ein weiteres Wort vor seiner Nase schloss.
    Auf halber Höhe des Centers musste sie den Lift wechseln. In ihrem Verlangen, so schnell wie möglich das Center zu verlassen, bemerkte sie zuerst gar nicht, mit wem sie die neue Kabine teilte.
    „Hey, Niove“, grüßte Zarail sie und sah von den Listen auf, die er und Bokan gerade noch besprochen hatten. „Wie ist es gelaufen?“
    Niove schenkte den beiden nur einen eisigen Blick, bevor sie ihnen betont den Rücken zuwandte und sich in Schweigen hüllte. Die Wut und der Ekel, die in ihr tobten, machten sie unfähig, sich zu sozialen Verhaltensregeln zu zwingen. Endlich unten angekommen stürmte sie durch die Eingangshalle. Energisch schüttelte sie die Hand von ihrer Schulter ab, mit der Zarail sie zurückhalten wollte.
    Sie lief planlos durch die Stadt, gebeutelt von dem ungeahnten Ausmaß an Gefühlen, die in ihr brodelten. Am liebsten hätte sie sich den Finger in den Hals gesteckt und gespien, bis nichts mehr von dem tobenden Sturm in ihrem Inneren zurückblieb. Immer noch fühlte sie die Wärme von Zarails Hand auf ihrer Schulter. Dazu sah sie jedoch das Gesicht von Telan Reszar vor sich. Sie hatte das Gefühl, nie wieder die Berührung eines Menschen ertragen zu können.
    Schwer atmend und mit Schweißperlen auf der Stirn kauerte sie sich in eine kleine Sackgasse, wo sie die gegenüberliegende Wand anstarrte. Sie hatte längst sämtliches Zeitgefühl verloren, als etwas Kleines und Feuchtes ihre Wange traf. Niove hob den Kopf und blinzelte in den Himmel. Ein zweites solches Etwas landete auf ihrem Handrücken, und bald noch eines und noch eines.
    Der Boden um sie herum färbte sich dunkel vor Nass und Niove lachte, als sie begriff, dass es Regen war, den sie fühlte. Regen, der aus unsichtbar über der Stadt hängenden Wolken fiel, sie in ihrem Elend hier sitzen fand und all das Grauen von ihr abwusch. Da erst merkte sie, wie sehr sie ihre eigene Maske der Emotionslosigkeit belastet hatte. Es tat so gut, endlich ihre Gefühle in vollem Ausmaß aus sich herauszulassen, so irrational sie auch waren. Hier konnte niemand sie hören.
    Also saß sie und lachte, bis ihre Kleidung vollkommen durchnässt war und das Wasser in kleinen Bächen ihren Körper von Kopf bis Fuß herablief, wo es jeden Gedanken an das Center von ihr nahm.
     
    In dem schummrigen Zwielicht, das in der schmalen Gasse hinter der Gebetsstätte herrschte, drängten sich undefinierbare Gestalten. Mit dem Lichtstreifen, der durch den Türspalt nach draußen fiel, wurden die Schatten zu Menschen, die auf dem Boden kauerten oder sich an die Hauswände pressten. Viele waren ärmlich gekleidet, nur wenige trugen die typischen Overalls, die die Fabriken ihren Arbeitern zur Verfügung stellten. Stattdessen waren einige in lumpenähnliche Umhänge gehüllt, die sie von Kopf bis Fuß bedeckten.
    All diese Menschen krochen jetzt auf Atlan und Ektor zu. In völligem Schweigen streckten sie den beiden ihre leeren Hände entgegen und nahmen die Spenden, die der Priester Stück um Stück aus dem Sack hervorzog: das graue Brot der Arbeiterschicht, Konserven, synthetisches Fleisch und ähnlich haltbare Lebensmittel. Jeder der stummen Gestalten drückte Ektor etwas in die Hände und wandte sich schon dem Nächsten zu, wenn sie ebenso schweigsam wieder in den Schatten verschwanden, ihre Portion eng an sich gepresst.
    Fasziniert beobachtete Atlan diese offensichtlich eingespielten Begegnungen. Bei einem Mann wurde er jedoch stutzig. Die Hand, die er Ektor reichte, war verkrümmt und deformiert, als wäre sie zertrümmert und danach nicht behandelt worden. Bevor Atlan sich darüber wundern konnte, dass der Mann mit dieser fast unbrauchbaren Hand nach der Dose mit Eintopf griff, bemerkte er den leeren Ärmel, der an dem anderen Ellenbogen des Mannes zu einem Knoten gebunden war. Sein zweiter Arm fehlte.
    Einmal

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