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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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darauf aufmerksam geworden, sah Atlan ähnliche Verletzungen an vielen der um Spenden Bittenden. Hie und da konnte er aber auch unter die Kapuzen der Vermummten sehen. Dort und an ihren Händen entdeckte er tiefe Narben, die ihm seltsam symmetrisch vorkamen. Ein Schauer durchlief ihn bei der Erinnerung, die dieser Anblick in ihm weckte. Allmählich glaubte er zu verstehen, wen der Verhüllte als seine Leute bezeichnet hatte.
    Die Essensgaben waren verteilt, lange bevor die letzten Bittenden ihren Anteil erhalten hatten. Doch statt der Unruhe, die Atlan befürchtet hatte, wandten sich die hungrig Gebliebenen einfach ab, so stumm, wie sie gekommen waren. Niemand forderte, gesättigt zu werden, sie waren dankbar für das, was ihnen gegeben wurde. Diese Menschen hatten sich mit ihrem Schicksal längst abgefunden.
    Unsägliches Mitleid machte sich in Atlans Herz breit. Das war also die Strafe Gottes für die Dinge, die im N4-Center geschahen? Diese armseligen Kreaturen? Seine Augen schwammen in Tränen, als er Meister Ektor wieder ins Innere der Gebetsstätte folgte.
    Trotz der Widrigkeiten, die seine Ausbildung mit sich brachte, war er immer noch ein Kind, und das Grauen der Welt war bisher von ihm ferngehalten worden. Der alte Priester dagegen sah Tag für Tag all dieses Leid und Elend. Und trotzdem war er weder verbittert noch entmutigt, im Gegenteil. All seine Kraft schenkte er diesen armen Menschen. Atlan musste seinen Meister zutiefst bewundern. Er konnte nur hoffen, dass er selbst seiner ihm zugedachten Rolle genauso gewachsen sein würde.
    „Sie haben keinen Platz mehr in dieser Welt“, sagte Ektor schließlich in die leere Gebetshalle hinein. Seine Augen wirkten selbst durch die Brillengläser unsagbar müde, als er Atlan ansah. „Klone, die speziell für die Aufgaben gezüchtet worden sind, für die diese Menschen einmal zuständig waren, haben sie entbehrlich gemacht. Deshalb enden sie als Opfer der Fabriken. Sie sind zu leicht ersetzbar. Niemanden kümmert es, wenn sie zugrunde gehen.“
    Atlan war fassungslos. Das war der Alltag hier in Noryak? Ein Teil von ihm wollte sich zurück in die schützenden Mauern des Klosters verkriechen. Doch ein anderer, ihm bis dato unbekannter Teil wollte gegen diese Ungerechtigkeiten kämpfen. Wollte verstehen.
    „Manche von ihnen tragen mehr Narben als die anderen. Diejenigen, die sich vollkommen vermummt haben.“
    Meister Ektor verzog das Gesicht. „Das sind Puristen“, erklärte er. „Arme Irregeleitete, die glauben, sie könnten den Lauf der Welt verändern, indem sie sich selbst als Menschen kennzeichnen.“
    „Mit Narben?“, rief Atlan schockiert. Diese Leute fügten sich diese Wunden selbst zu? Warum, in Gottes Namen?
    Der alte Priester nickte jedoch nur. „Hast du jemals einen vernarbten Klon gesehen?“
    Atlan hatte noch überhaupt keinen Klon gesehen, doch der Meister schien keine Antwort zu erwarten. „Sie wollen erschrecken, mehr nicht. Zeigen, was die Gesellschaft aus ihnen gemacht hat. Ein grauenhafter Anblick, wenn man sie unverhüllt sieht, aber auch sie sind nur arme Geschöpfe, die einen Weg suchen, um zu überleben.“
    Gemeinsam räumten die beiden die Halle auf und verschlossen die Gebetsstätte. Bevor Ektor seinen Adepten an den Priester übergab, der auf Atlan wartete, fügte er noch eine letzte Bemerkung hinzu, als hätten sie ihr Gespräch nicht bereits eine halbe Stunde zuvor unterbrochen.
    „Du wirst sehen, mein Junge, die Puristen werden ihr Gehabe bald selbst satthaben. In einigen Jahren werden auch sie vergessen sein.“
    In diesem Punkt irrte sich Meister Ektor, doch er sollte das Glück haben, sein Lebtag lang keines Besseren belehrt zu werden.
     
    Niove irrte eine ganze Weile durch die Straßen, bis sie endlich einen der Einstiege zur Metro fand. Dort musste sie allerdings feststellen, dass ihr das aufgezeichnete Liniennetz nicht im Geringsten weiterhalf – sie kannte keine der bezeichneten Stationen. Der einzige Name, der ihr geläufig war, war der des N4-Centers. So unwohl ihr bei dem Gedanken auch war, gerade jetzt nochmals dorthin zurückzukehren, war es doch ihre beste Chance, selbst nach Hause zu finden.
    Ihre Familie zu kontaktieren und darum zu bitten, abgeholt zu werden, nachdem sie schon wieder alleine in der Stadt herumgelaufen war, kam für Niove auf keinen Fall in Frage. In Erklärungsnot würde sie noch früh genug kommen. Und wozu war sie schließlich optimiert?
    Nach einigem Rätselraten über die Bedeutung der

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