Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
Bildschirme, Server und Datentafeln unterbrochen. Die an diese Labore angrenzenden Büros dienten rein zur Ausarbeitung der Genzuteilung. Hier beobachteten die Forscher Stunde um Stunde die Zahlenkolonnen und DNS-Helices, aus denen bald neues Leben entstehen sollte.
Der eigentliche Grund für Nioves Besuch befand sich in den letzten beiden Stockwerken. Sie ertrug Reszars ausschweifende Erläuterungen in der Hoffnung, dort die ersehnten Antworten auf ihre Fragen zu finden, denn dort fand der tatsächliche Entstehungsprozess statt. Sobald sie jedoch den Raum betrat, verdrängte das Grauen jegliche Faszination in ihr. Unzählige Glasbehälter reihten sich aneinander, in denen Föten mithilfe künstlicher Nabelschnüre versorgt wurden und zu ihrer endgültigen Größe heranwuchsen. Niove sah Kinder in den unterschiedlichsten Entwicklungsstadien – manche waren kaum mehr als Einzeller, andere standen bereits kurz vor der Entnahme.
Sie alle schwammen reglos in der leicht gelblichen Flüssigkeit, nur die Monitore am unteren Glasrand zeigten die Lebensfunktionen an und bezeugten, dass es sich hierbei nicht um ein makabres Museum handelte. Sie lebten und wuchsen hier zu Kleinkindern heran, wie alle Produkte des Centers. Ein Reifeprozess, für den die Natur sechs Jahre benötigt hätte, wurde hier in weniger als einem einzigen Jahr durchlaufen.
Einige Stunden benötigten sie nach der Entnahme, um sich an ihr eigenständiges Leben zu adaptieren. Und um sich die Erinnerung an diese Tanks zu ersparen , dachte Niove zynisch. Aber kurz darauf waren sie bereits geeignet, in eine der Bildungseinrichtungen einzutreten, um so rasch wie möglich zu einem nützlichen Mitglied der Gesellschaft zu werden.
Mithilfe der Mikrochips, die sie hier eingepflanzt bekamen, waren sie einzigartig und identifizierbar, die Optimierung und Spendergene wurden jedem Scanner offengelegt. Ihr Leben wurde ihnen schon im Reagenzglas vorherbestimmt.
Es waren tausende Föten, aber trotzdem schienen es zu wenige zu sein, um eine Stadt wie Noryak zu versorgen. Diese erstreckte sich immerhin über mehr als zwölftausend Quadratkilometer und beherbergte fast siebzig Millionen Einwohner. Nach offiziellen Schätzungen.
In Erinnerung an die Thematik ihrer Bücher fragte sie, ob die restlichen Klone denn in den Müttern heranwuchsen. Reszar sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
„Warum sollten sie? Es war zwar früher gängig, die optimierten Gene als befruchtete Eizelle in die Mutter einzupflanzen und sie das Kind austragen zu lassen, aber diese Praxis ist schon lange nicht mehr üblich. Wieso sollte man sich so etwas noch antun? Es ist eine unangenehme, langwierige und schmerzhafte Prozedur, die stattdessen auch einfach hier stattfinden kann.“ Mit einer Armbewegung umfasste er die unheimlichen Behältnisse.
„Davon abgesehen ist es bei den meisten Frauen auch gar nicht mehr möglich“, fügte er hinzu.
Niove stutzte. „Wieso ist es nicht möglich? Wird das Kind abgestoßen?“
„Keineswegs! Die Föten sind optimiert, sie überleben auf jeden Fall.“ Reszars Stolz klang fast, als wäre das allein sein Verdienst. „Nein, es ist nur so, dass alle Optimierten der neuen Generation steril gezeugt werden.“
„Sie sind steril? Alle?“ Der Schock sickerte nur langsam in Nioves Bewusstsein. Mit einem Mal erschien ihr ihr eigener Körper fremd und fern. Wer konnte schon mit Bestimmtheit sagen, welche Optimierungen an einem selbst vorgenommen worden waren? Nur offizielle Stellen konnten die Daten aus den Chips auslesen. Das Wissen, dass einem nicht nur der berufliche Weg, sondern auch viele andere Entscheidungen bereits vom Tag der Planung an abgenommen wurden, war doch irgendwie erschreckend.
Niove trat näher an einen der Behälter heran und legte die Hand an die warme Oberfläche. Das Kind darin war schon weit entwickelt, die Entnahme würde wohl bald erfolgen. Erstaunlich, dass sie selbst einmal so ein hilfloses Geschöpf in einem Glaszylinder gewesen war.
Wenn sie so darüber nachdachte, war dem Menschen eigentlich fast jede Wahl abgenommen worden. Man wurde für eine Aufgabe geplant. Was überflüssig war, wurde durch eine produktivere Kombination ersetzt. Und Natürliches war scheinbar immer überflüssig.
Ein Teil ihrer düsteren Gedanken schien sich auf ihrem Gesicht widerzuspiegeln, doch Reszar deutete sie falsch. Mit einem abfälligen Ausdruck ergänzte er: „Selbstverständlich sind sie alle dazu in der Lage, den Geschlechtsakt
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