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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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an, die sich über sein Blickfeld zu legen drohte, da hörte er die Stimme neben sich.
    „Bruder, du siehst nicht gut aus.“ Es war die sanfte Frage einer Frau, doch als Haron sich ihr zuwandte, konnte er unter den verhüllenden Stoffbahnen kein Gesicht ausmachen. Mit kundigen Händen inspizierte sie seine Bandagen.
    Behutsam seinen Stumpf betastend, fragte sie: „Wie ist das passiert?“
    Es dauerte einen Augenblick, bis Haron die Ursache für seine fehlende Ablehnung erkannte. In ihrer Stimme und in ihren Handlungen lag keine Spur von Mitleid, nur die angemessene Vorsicht im Umgang mit einer Verletzung. Zu seiner eigenen Überraschung hörte er sich selbst antworten.
    „Eine der Maschinen hatte einen Defekt. Ich war nicht schnell genug. Sie hat mich erwischt.“
    Die Verhüllte nickte. „Deine Wunde ist noch frisch. Sie sollte behandelt werden.“
    „Ich habe eine Frau“, erklärte er ihr. Als sie den Kopf hob und ihn stumm betrachtete, ahnte er, dass seine Bemerkung überflüssig gewesen war. Es war keine Behandlung in einem Krankenhaus, die sie im Sinn gehabt hatte.
    Eine Weile sah sie ihn weiter wortlos an, dann hob sie die Hände und streifte das Tuch vom Kopf. Was darunter zum Vorschein kam, ließ Haron unwillkürlich zurückzucken, ehe er seine Fassung wiedergewann.
    Sie hatte keine Haare mehr. Ihre gesamte Kopfhaut und ein großer Teil ihres Gesichts waren von einem rosafarbenen Narbengewebe überzogen, das auch ihren Hals hinabreichte und aussah, als würde es von einer Verätzung oder Verbrühung stammen. Das Schrecklichste daran war jedoch, dass die verursachende Flüssigkeit auch ihr linkes Auge erwischt hatte. Ein gräulicher, feuchter Klumpen lag blind in der zerschundenen Augenhöhle.
    Sie hielt seinem entsetzten Blick lange genug stand, um ihn die Einzelheiten erfassen zu lassen, dann bedeckte sie sich wieder mit Stoff und Schatten.
    Bedrückt starrte Haron zu Boden, sie dagegen sprach mit ruhiger Stimme. „Ich war ebenfalls in einer der Fabriken. Die Tanks wurden nicht richtig gewartet.“
    Sie ließ ihm Zeit, diese Information und die Bilder, die sich dadurch vor seinem inneren Auge zusammenfügten, zu verdauen, bevor sie fortfuhr. „Ich bin Maretha. Ich kenne Leute, die sich um deinen Arm kümmern werden. Und einen Ort, wo du bleiben kannst, wenn du das möchtest.“
    Beinahe hätte er aus Gewohnheit abgelehnt. Aber er musste sich eingestehen, dass er ohne Hilfe nicht lange überleben würde. Und wenn er schließlich doch aus dem Leben scheiden sollte, wollte er, dass es seine eigene Entscheidung war, nicht die Folge von Hunger oder Wundbrand.
    Also folgte er ihr durch eine verwirrende Abfolge von Gassen und Tunneln. Sie bückten sich unter Brücken hindurch und stiegen über Schuttberge, die es zu erklimmen galt. Längst hatte er jegliche Orientierung verloren, was wahrscheinlich auch der Grund für diese mühevolle Strecke war. Allmählich zweifelte er nur daran, dass er lange genug durchhalten würde, um ihr Ziel zu erreichen.
    Aber er verkniff es sich vehement, seine Führerin um ein langsameres Tempo zu bitten. Schwach und verwundet, wie er war, hatte er immer noch seinen Stolz – das letzte Überbleibsel aus seinem bisherigen Leben.
    Endlich hielten sie an. Als Haron sich jedoch umsah, bemerkte er, dass sie ihn in eine Sackgasse geführt hatte. Sie waren umgeben von leerstehenden, halb verfallenen Häusern, deren staubige und zerschlagene Fensterscheiben ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagten. Er fühlte sich beobachtet.
    Es musste eine Falle sein. Davon war er überzeugt.
    Wieso machten sie sich die Mühe, ihn dafür kreuz und quer durch die Stadt zu führen? Es war nicht so, als hätte er großen Widerstand leisten können zu dem Zeitpunkt, als Maretha ihn gefunden hatte. Aber sollten sie nur kommen. Die Angst vor dem Tod hatte er bezwungen; er würde sich zur Wehr setzen, bis der letzte Funken seiner Lebenskraft erloschen war.
    Herausfordernd richtete er seinen Blick wieder auf Maretha, doch zu seinem Erstaunen hatte sie ihm den Rücken zugewandt und mühte sich mit einer Konstruktion aus Kisten, Metallplatten und Planen ab. Haron hatte das Gebilde für einen der zahllosen Müllhaufen gehalten, aber unter ihrem Griff schwang es langsam und behäbig auf wie eine überaus hässliche Tür. Dabei offenbarten sich weitere Platten, die an der Innenseite angebracht waren und das ganze Gerümpel zusammenhielten.
    Anerkennend nickte er. Von außen gesehen blieb der schmale

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