Das unheimliche Haus
stellen. Als er den Umschlag öffnete, gab es eine Überraschung. Heute steckte zwischen den Geldscheinen die Hälfte einer bunten Berliner Ansichtskarte. Sie zeigte das Charlottenburger Schloß. Auf dem Teil, den Stielicke jetzt verwundert betrachtete, war die linke Schloßhälfte abgebildet.
Am frühen Nachmittag kamen die ersten dunklen Wolken vom Funkturm her auf die Stadt zu. Nach einer Stunde war der Himmel total bedeckt, und kurz darauf regnete es.
Eine Zeitlang hatte Hugo Stielicke bei geschlossenen Vorhängen in die Röhre geguckt, aber das Programm war stinklangweilig. Jetzt lag er wieder einmal auf seinem Sofa, hatte die Hände unter dem Kopf, die langen Beine übereinandergeschlagen und versuchte zu dösen. Es gelang ihm heute nicht so richtig. Ein sonderbares Gefühl in der Magengrube beunruhigte und warnte ihn. Hinter seinen geschlossenen Augenlidern blieb er hellwach. Deshalb war er auch gar nicht erschrocken, als er ein leichtes Knarren hörte. Irgend jemand hatte sich draußen auf Zehenspitzen seiner Tür genähert. Auch als ein kühler Luftzug durchs Zimmer strich, machte er seine Augen noch nicht auf. Aber nach einer Weile fragte er doch, ohne sich zu rühren: »Wer ist da?«
Keine Antwort.
Hugo Stielicke wartete noch ein paar Sekunden. Dann sprang er ganz plötzlich auf die Beine und wirbelte auf dem Absatz herum, als habe er einen elektrischen Schlag erhalten.
Zuerst sah er von dem Mann nur einen dunklen Fleck im Spiegel des Kleiderschranks. Aber als er sich bewegte und dann wieder halb verdeckt vom Tuchvorhang zwischen der Tür und der Garderobe stehenblieb, konnte er die Silhouette einer ganzen Figur erkennen. Der Eindringling war groß, korpulent, ein Zweizentnermann.
Stielicke knipste das Licht an.
Der Mann lächelte leise und kam einen Schritt näher. Sein etwas aufgedunsenes Gesicht war tadellos rasiert und hatte eine rötliche Färbung, die auf der scharf vorspringenden Nase durch kleine Äderchen verstärkt wurde. Er hatte stahlblaue Augen und stark behaarte Handrücken. Sein dunkler Anzug saß blendend, und der Knoten seiner auffallend bunten Krawatte war perfekt. Der Koloß verstand sich anscheinend auf Wirkung. Bestimmt war er nicht der Typ, der nach Feierabend Spitzendeckchen häkelte.
»Wie heißen Sie?« fragte Stielicke.
»Sperling«, erwiderte der Besucher und fügte im gleichen Atemzug hinzu: »Aber geben Sie sich keine Mühe, alle Witze über meinen Namen sind schon gemacht.«
»Und was wollen Sie von mir?«
Der Dicke schnippte mit dem Fingernagel gegen seine Zähne und lächelte wieder. Dann holte er die Hälfte einer zerrissenen Ansichtskarte aus der inneren Tasche seines maßgeschneiderten Jacketts und legte sie wortlos auf den Tisch.
»Na, schön«, sagte Stielicke und spazierte zu einem kleinen Wandregal. »Bestimmt ist das ganz überflüssig, aber immerhin...« Er zog sein Stück der Ansichtskarte unter einer Blumenvase hervor und schob es mit den Fingerspitzen behutsam neben die andere Hälfte, die der Mann namens Sperling mitgebracht hatte. Der Riß fügte sich nahtlos aneinander.
»Noch irgendein Zweifel?« fragte der Dicke und lächelte wieder. Er konnte sein Lächeln aus- und anknipsen wie eine Nachttischlampe. Es täuschte aber nicht darüber hinweg, daß seine blauen Augen so hart wie Glas blicken konnten.
»Kein Zweifel«, antwortete Hugo Stielicke. »Ihr Paß ist in Ordnung.« Jetzt lächelte auch er ein wenig.
»Der >Mandarin< hat mich beauftragt, Sie herzlich zu grüßen«, sagte Sperling. Er ließ sich unaufgefordert in einen Sessel fallen und fläzte seine Füße auf das Polster gegenüber.
»Sie kommen doch bestimmt nicht nur, um mir Grüße zu bestellen«, bemerkte Stielicke.
»Stimmt auffallend«, antwortete der Dicke. »Selbstverständlich soll ich Ihnen etwas erzählen.«
»Und das wäre?«
»Es wird Ihnen empfohlen, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, gelegentlich Ihre Koffer zu packen«, erklärte Sperling. »Es ist soweit.«
»Wann?« wollte Hugo Stielicke wissen.
»Das kann schon sehr bald sein«, erwiderte der Nonstoplächler namens Sperling.
Eine Klassenarbeit wird frisiert
»Da ist er«, sagte der Boß der Glorreichen leise.
Zusammen mit dem kleinen Kubatz und Manuel Kohl hatte er sich hinter einer Plakatsäule versteckt. Die drei warteten nun bereits eine Viertelstunde auf den Studienrat. Sie hatten ihre Fahrräder bei sich, und der Schatten der hohen Backsteinmauer gab ihnen zusätzliche Deckung.
Dr. Purzer kam
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