Das unvollendete Bildnis
Gewissensbissen gepeinigt. Ich weiß nicht, ob ich mir dessen schon damals bewusst war, aber rückblickend weiß ich es. Caroline wurde stets verfolgt von dem Gedanken an das, was sie mir zugefügt hatte. Sie fand keinen Frieden, alle ihre Taten wurden davon beeinflusst, und so ist auch ihre Haltung mir gegenüber zu erklären.
Für mich war nichts gut genug, ich kam immer zuerst, die meisten Streitigkeiten, die sie mit Amyas hatte, entstanden meinetwegen. Ich war eifersüchtig auf ihn und spielte ihm allerhand Streiche. Ich stibitzte Katzensaft, um ihn in sein Bier zu schütten, und setzte ihm einmal einen Igel ins Bett. Aber Caroline verteidigte mich immer. Das war natürlich schlecht für mich; ich wurde auf jede Weise entsetzlich verwöhnt. Aber das tut nichts zur Sache, wir sprechen ja über Caroline. Im Gedanken an ihre frühere Tat hatte sie ihr Leben lang eine panische Angst davor, noch einmal etwas Ähnliches zu tun. Sie war ständig auf der Hut, beobachtete sich dauernd, damit nicht noch einmal so etwas vorkommen könnte. Instinktiv reagierte sie ihre Wut durch heftige Worte ab. Das war psychologisch richtig, denn wenn sie sich mit Worten Luft machte, war sie weniger in Gefahr, sich durch Taten auszutoben, und die Methode bewährte sich. Darum sagte sie oft Dinge – ich habe es selbst gehört – wie: ‹Am liebsten würde ich den Soundso in Stücke schneiden und in Öl braten!› Oder sie sagte zu mir oder zu Amyas: ‹Wenn du mich weiter so ärgerst, schlag ich dich tot!› Ebenso brach sie leicht einen heftigen Streit vom Zaun. Sie wusste sehr gut, wie heftig sie von Natur aus war, und so schaffte sie sich dieses Ventil. Amyas und sie hatten häufig direkt groteske Auseinandersetzungen.»
Hercule Poirot nickte.
«Bei der Verhandlung wurde das als Beweis gegen sie angeführt.»
«Solche Beweise sind stupide und irreführend», sagte Angela. «Natürlich stritten sich die beiden. Natürlich warfen sie sich die schlimmsten Ausdrücke an den Kopf, aber kein Mensch wusste, dass sie diese Szenen genossen. Die meisten Männer hassen Szenen, sie wollen ihre Ruhe haben; aber Amyas war ein Künstler, er liebte es zu brüllen, die fürchterlichsten Drohungen auszustoßen und ausfallend zu werden. Es war, als ob er Dampf abließe. Er war einer der Männer, die auf der Suche nach einem verlorenen Kragenknopf brüllen, dass das ganze Haus zittert. Es klingt merkwürdig, aber Amyas und Caroline fanden diese dauernden Krache und Versöhnungen herrlich!»
Sie machte eine ärgerliche Geste.
«Wenn man mich doch nur nicht fortgeschickt hätte, wenn man mich nur als Zeugin vernommen hätte! Ich hätte das dem Gericht klar machen können.» Sie zuckte die Achseln. «Aber ich nehme an, man hätte mir nicht geglaubt. Außerdem hatte ich es damals noch nicht so klar erkannt wie jetzt. Ich hatte noch nicht alles so genau durchdacht und hätte es bestimmt nicht in Worte kleiden können.»
Sie blickte Poirot an.
«Verstehen Sie mich?»
Er nickte lebhaft.
«Voll und ganz, und Sie haben Recht. Es gibt Menschen, denen es langweilig ist, wenn sie sich vertragen; sie benötigen zu ihrem Wohlbefinden das Stimulans eines Kraches.»
«Richtig.»
«Miss Warren, was empfanden Sie damals?»
Sie seufzte.
«Ich war entsetzt, verzweifelt, völlig durcheinander, glaube ich. Es kam mir alles wie ein Alptraum vor. Caroline wurde bald verhaftet, ich glaube, schon nach drei Tagen. Ich erinnere mich an meine Empörung, an meine dumpfe Wut und natürlich an meinen kindlichen Glauben, dass es nur ein Irrtum sei, der bald aufgeklärt werden würde. Caroline machte sich hauptsächlich meinetwegen Sorgen; sie wollte, dass ich von allem fern gehalten würde. Sie beauftragte Miss Williams, mich sofort zu Verwandten zu bringen; und die Polizei erlaubte es. Als dann feststand, dass ich nicht als Zeugin vernommen werden sollte, schickte man mich sofort auf eine Schule im Ausland. Ich sträubte mich dagegen, aber man sagte mir, dass sich Caroline meinetwegen große Sorgen mache und es eine Erleichterung für sie bedeuten würde, wenn ich ginge.»
Sie machte eine kleine Pause.
«So ging ich nach München. Und dort erfuhr ich das Urteil. Man ließ mich nie zu Caroline, sie wollte es nicht. Das ist das einzige Mal, glaube ich, dass sie kein Verständnis für mich aufbrachte.»
«Das sollten Sie nicht sagen, Miss Warren. Auf ein empfindsames junges Mädchen könnte der Besuch bei einem geliebten Menschen, der im Gefängnis sitzt, einen
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