Das verborgene Wort
sortiere sie Handtücher, Hemden oder Strümpfe.
Hier, Hilla, dat is doch wat för desch. Hanni warf mir einen fuchsroten Puschel zu, der vom vielen Auf- und Absetzen, Zurechtrücken und -zupfen schon so verfilzt war, daß die Locken sich wie Schweineschwänzchen kringelten. Aufsetzen! Hanni winkte mir mit den Augen. Nu mach schon.
Das, was da Haare vorstellen sollte, rote Fäden durch eine Gummihaut gezogen, fühlte sich stumpf und störrisch an. Dat sin Kunsthaare, sagte Hanni und nahm mir das Ding aus der Hand. So macht man dat. Hanni zog die Gummihaut auseinander und ließ sie auf meinem Schädel zusammenschnappen. Es fühlte sich an wie eine zu enge Badekappe. Das Gummi schnitt mir in die Stirn, mein Zopf hing den Rücken hinunter.
Jitz sühst de us wie ene Jeck, sagte die Mutter. Ich machte ein paar alberne Verrenkungen und zog mit beiden Händen den Mund auseinander. Die Gesichter der Frauen hellten sich auf.
Probier die ens, sagte Hanni und reichte Maria einen Pagenkopf, schwarz wie zuvor ihr eigenes Haar. Liebevoll wischte sie mit einem Taschentuch den Schweiß von Marias Schädel und streifte ihr behutsam den Gummiskalp über.
Nä, entfuhr es der Tante. Nä sujet, der Mutter. Hanni schaute zufrieden auf die Schwester herunter wie ein Bildhauer auf sein Werk. Maria sah jung und keß aus, beinah französisch-chic.
Da, sagte Hanni und reichte ihr den Spiegel.
Maria, sagte die Mutter bewundernd. Du sühst jo us wie us däm Ei jepellt! Nun begann auch die Tante Geschmack an der freien Auswahl zu finden. Sie hatte eben ein braungelocktes Teil, einem Langhaardackel nicht unähnlich, ergriffen, als die Tür aufflog. Die Besuchszeit ist zu - mitten im Satz, die Türklinkenoch in der Hand, brach die Schwester ab. Ist die schon wieder am Sonntag mit ihrem Wagen unterwegs! Verboten ist das! Verstehen Sie? Verboten! Na, ich will sehen, wo die steckt. Und Sie gehen jetzt bitte. Die Besuchszeit ist zu Ende!
Die nimmst du, raunte Hanni ihrer Schwester zu, während wir gehorsam unsere Strickmützen aufsetzten. Die un ken andere.
In der Tür drehte ich mich noch einmal um. Maria saß hochaufgerichtet und starrte in den Spiegel. Auf dem Nachttisch stand die dottergelbe Mütze und warf einen spitzen, strammen Schatten bis aufs Bett. Im Gang lief uns der Doktor entgegen. Die Tante hatte schon den Mund zum Fragen geöffnet. Doch der Arzt wandte den Kopf zur Seite, tat, als erkenne er uns nicht.
Mer wös ald jän [60] , wie lang et noch durt, knurrte die Tante in ihren Kragen. Die Tante war für klare Verhältnisse. Im Leben und beim Sterben auch.
Auf der Rückfahrt sah ich nichts als Strickmützen. In Bahnen und Bussen, auf Männer-, Frauen-, Kinderköpfen nichts als Strickmützen. Kinder brüllten unter Strickmützen, Frauen schnatterten unter Strickmützen, alte Männer kauten unter Strickmützen auf ihren Pfeifen. Eine Welt voller Strickmützen. Mit kahlen Schädeln darunter.
Hanni, sagte ich beim Abschied. Dat mit der Motz för dat Maria war jut. Ja, sagte Hanni, ävver et hät jo nit janz jeklappt. Ävver die Peröck war nit schlesch. Wat mens de?
Ich fühlte noch den Druck der Kappe auf dem Kopf und nickte übertrieben. Ob Ferdi auch Krebs gehabt hatte? Ob Hanni noch an ihn dachte? Ich wagte nicht zu fragen.
Und noch eines ging mir durch den Kopf: Warum hatte Jesus sich nicht gleich selbst nach dem Hufeisen gebückt, Kirschen gekauft und Petrus eine Freude gemacht? Ohne ihn mit Bücken zu quälen? War das Nächstenliebe?
Im April fiel noch einmal Schnee, weiche Flocken, die nicht liegenblieben. In den Vorgärten blühten schon die Forsythien. Am Samstag fahre ich nach Düsseldorf, schrieb Sigismund, ins Theater. Wir treffen uns um fünf Uhr bei Bötsch. Fährst du mit? Dein S. Jede Menge Kreuzchen.
Familie Bötsch betrieb ein Busunternehmen. Man fuhr nach Altenberg oder Schloß Burg, in den Schwarzwald oder ins Allgäu, zur Tulpenblüte nach Amsterdam, seit zwei Jahren sogar an den Gardasee und die spanische Küste. Am beliebtesten waren Rheinfahrten, Tagestouren, nach Königswinter, St. Goar oder nach Bingen. Für meine gelehrte Schutzpatronin vom Rupertsberg interessierte sich dort allerdings niemand. Besichtigt wurde der Mäuseturm. Die Tante war auch ein paarmal gefahren, erzählte von Torten und Schnitzeln und von verdorbenem Kartoffelsalat, der die Heimreise stark beeinträchtigt hatte.
Einmal im Monat fuhr Bötsch nach Düsseldorf ins Schauspielhaus. Die Honoratioren hatten dort ein Abonnement wie
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