Das verborgene Wort
blauschwarzen Himmel hinterm Fenster leuchtete Marias gelbe Mütze wie ein warmer Stern.
Der Mann an der Tür wollte sich gerade von seiner Frau verabschieden, das Kind trippelte schon in Mantel und Schal ungeduldig von einem Bein aufs andere, da ging die Tür auf. Ins schummerige Zimmer schob sich ein zottiges Wesen, ein mannshoher, blond und braun, grau und schwarz gescheckter Bär, quietschend und klirrend. Es klickte, das Deckenlicht ging an.
Schönheit, Schönheit, meine Damen, rief eine volle, klare Frauenstimme in einem Tonfall, wie man Hühner lockt, Schönheit, Schönheit. Die Frau hinter dem Bären trug einen hellblauen Kittel und kein Häubchen, stand im Rang zwischen den graukit- teligen Putzfrauen und den weißbekittelten Schwestern. Sie war nicht mehr ganz jung und stark geschminkt. Unbarmherzig gab das grelle Licht jede Runzel preis, jede Furche, in der sich das falsche Braun der Wangen, das falsche Rot der Lippen gesammelt hatte, Risse im Firnis eines alten Gemäldes. Üppiges, blondes Haar fiel ihr über die Schultern. Eine stattliche, straffe Figur war sie und sehr gerade. Etwas Soldatisches ging von ihr aus. Und diese Ausstrahlung von Disziplin und Pflichterfüllung stand in einem beruhigenden Gegensatz zu dem, was sie mit sich führte. Der Bär war ein Wagen aus Metallstangen, doppelt so breit und hoch wie ein Nachttisch, Stangen mit Haken, daran Haare ohne Köpfe, Frisuren ohne Gesichter, Haare und Frisuren in allen Formen und Tönungen, lang und glatt, kurz und kraus, sanfte Wellen, forsche Strähnen. Wie abgezogene Felle hingen die Haarteile da, tote Fülle, leblose Pracht, ein Wagen voller falscher Versprechungen.
Mit der Frau und ihrer Ware hatte sich eine merkwürdige Luft verbreitet, Kampfer und Lavendel, ähnlich dem Dampf aus nassen Wintermänteln sonntags in der Kirche, darüber ein muffiger
Geruch aus verharztem Parfüm und ranzig verschwitzten Kleidern, wie er mir vor Jahren einmal aus einer Truhe der Frau Bürgermeister in die Nase gestiegen war. Auch welkende Blumen rochen manchmal so oder der Komposthaufen auf dem Friedhof nach warmen Regentagen.
Die Frau rollte ihren Wagen in die Mitte. Der Mann am Bett hinter der Tür riß das Kind zurück, das eben die Hand nach den zottigen Gebilden ausstreckte, und verließ mit einem hastigen Kopfnicken das Zimmer.
Meine Damen, begann die Frau, nennen Sie mich Gisela, obwohl ich keine Schwester bin. Sie sehen, was ich Ihnen hier bringe. Wir brauchen nicht weiter darüber zu reden. Sie werden so was brauchen. Ich lasse den Wagen erst einmal hier. Und auch einen Spiegel. Sie können sich ungestört etwas aussuchen. Die Schwester, die keine war, machte eine tiefe Verbeugung, wobei sie wie die Schauspieler einen Fuß zurücksetzte. Als sie wieder hochkam, war Schwester Gisela kahl. So jäh war die Verwandlung, daß ich mir unwillkürlich an den Kopf, den Zopf, die Mütze griff. Mutter, Tante, Hanni, alle mit derselben Bewegung. Triumphierend schwenkte die Frau das Blondgelock über ihrem Schädel, der ringsherum, wo das Gummiband gesessen hatte, von einem dünnen, dunkellila Streifen gezeichnet war. Die Kopfhaut glänzte gegen die matt gepuderte Gesichtshaut rot und naß wie ein gehäutetes Kaninchen.
Ja, meine Damen! Schwester Gisela sonnte sich im Erfolg ihrer Überraschung. Das hätten Sie nicht erwartet. Ich bin eine von Ihnen. Greifen Sie zu. Es tut nicht weh. Und alles auf Krankenschein. Mit erprobtem Griff zog sie die Haare, die ihr in der Hand hingen wie eine tote Perserkatze, auseinander und stülpte sie wieder über. Viel Spaß beim Aussuchen! Sie tippte mit dem Finger an die korrekt sitzende Frisur und verließ das Zimmer. Die Mutter sah auf die Uhr. Es war Zeit zu gehen.
Maria riß die dottergelbe Mütze vom Kopf und warf sich aufschluchzend in die Kissen. Ihre gerötete Kopfhaut glitzerte schweißig. Da nahmen auch wir unsere Mützen ab. Der Zauber war vorbei. Eine Strickmütze war wirklicher als ein Gedicht. Eine Perücke war wirklicher als eine Strickmütze. Mit einer Strickmütze konnte man spielen. Die Perücke war Ernst.
Maria, Hanni rüttelte die Schwester zärtlich an der Schulter. Maria, mir sin doch och noch do. Mir sin doch bei dir, Kenk, sagte die Tante, und ich wunderte mich, wie weich ihre Stimme klingen konnte. Kenk, nächste Woch bes de doch widder do- heem!
Bei diesen Worten schluchzte Maria noch lauter, setzte sich aber auf.
Hanni hantierte in den Perücken mit den tüchtigen Griffen einer Hausfrau, als
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