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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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wollte, und wußte, daß Erklärungen oder Bitten zwecklos waren.
    Waröm soll dat Kenk dann keen Näjerpopp han? mischte sich jetzt Tante Angela ein. Sie hatte sofort begriffen, daß dieser Ladenhüter weit billiger war als alle anderen.
    Heldejaad, das war jetzt die Mutter, warum nimmste dann nit das Prinzessje? Du häs et doch so mit de Prinze und Künnije.
    Allein diese Bemerkung verstärkte meinen Wunsch nach dem Ding aus der Ecke mit den dicken roten Lippen, runden schwarzweißen Augen, grinsend und glänzend aus propperem Zelluloid.
    Opa, bettelte ich, dat Näjerlein jefällt mir. Esch will och für et bäde.
    Wenn dat so es, sagte der falsche Großvater, dann krischs de jitz dat Pöppsche, und dann koofe mer noch ene Rosekranz. Zum Bäde. Dann wolle mer ens affwade, ob du et wieß jebät krischs.
    Opa, jauchzte ich und umfaßte sein Knie. Den Rosenkranz gab es gleich in der Bude daneben. Ich wählte einen aus weißen, länglichen Perlmuttperlen mit einem silbernen Kreuz. Auch der kleine Leichnam darauf war aus Perlmutt. Ich war selig.
    Mein Bruder wurde Taufpate, als wir den armen Heiden in der Regentonne auf den Namen Fritz tauften - nach dem Großvater, dem echten. Nach Herzenslust ließ sich der wackere Kerl unter Wasser stupsen, ohne unterzugehen. Grinsend schoß die Zelluloidgestalt nach jedem Untertauchen im Namen des Vaters, des
    Sohnes und des Heiligen Geistes wieder ans Licht. Pflichtgemäß betete ich ziemlich ausgiebig, daß sich die weiße Seele Fritzens nach außen wenden möge. Aber im Grunde meines Herzens wollte ich diese Änderung nicht. Ich hatte ihn ja allen übrigen vorgezogen, weil er anders war als sie. Dennoch beschloß ich, als um die Weihnachtszeit die Sticheleien der Großmutter gegen das Heidenkind wieder zunahmen, ein Letztes zu versuchen. Ein weißes Negerlein wäre in der Tat ein wirkliches Wunder. Der Großmutter mit einem Wunder das Maul zu stopfen war eine Sache, für die sich ein großer Einsatz lohnte.
    Nach der Bescherung am Weihnachtsmorgen gingen wir gemeinsam ins Hochamt in die Turnhalle, die gleich nach dem Krieg dafür hergerichtet und geweiht worden war. Eine Bombe hatte die Pfarrkirche zerstört. Es war keines von den Hochämtern, die auf Lateinisch abgehalten wurden, vielmehr eines zum Mitsingen all der schönen alten Lieder. Wie ich an diesem Morgen das Kind in der Krippe grüßte und benedeite. Sogar die Mutter nickte beifällig auf mich hinunter.
    Nach der Messe durften wir ans Krippchen gehen und einen Groschen in einen Glockenturm aus Blech werfen, worauf ein Heidenkind in rotem Turban und lila Pumphosen heftig nickend ein Glöckchen zog. Ich trödelte so lange herum, bis wir die letzten waren, was die milde Stimmung der Mutter schon wieder verdarb. Endlich kehrte sie mir an der Tür den Rücken zu, und ich zog den schwarzen Fritz aus der Manteltasche und legte ihn zum Christkind in die Krippe. Legte ihn dem rosigweißen Baby, das etwa doppelt so groß war wie er, in die weit ausgebreiteten runden Arme und ließ die beiden ewig lächelnden Kinder zurück.
    Als um halb fünf die Glocken für die Weihnachtsandacht zu läuten begannen, war ich die erste im Flur bei Mantel und Schal. Auf dem Weg zur Turnhallenkirche kamen uns nur wenige Leute entgegen, alles Evangelische. Die meisten gingen in unsere Richtung. Ich trug meine neuen Gummistiefel mit dicken Wollsocken und hatte endlich keine Angst mehr, nasse Füße zu kriegen. Soll ich dä Schirm jitz op mache oder zoloße, räsonierte die Mutter und ließ den Knirps, ihr Weihnachtsgeschenk, per Knopfdruck aufspringen. Ihn dann wieder kleinzukriegen, weil sonst nie-mand den Schirm aufgespannt hatte, machte ihr Mühe. Mit hartnäckigem Plopp spannte die blau-schwarz gestreifte Seide das kräftige Gestänge immer wieder, bis die Mutter schließlich die Geduld verlor und den Schirm in voller Größe umklammert hielt wie einen Prügel. Haarfeiner Regen fiel, und der Wind vom Rhein warf die Luft wie feuchte Lappen ins Gesicht, den ganzen Tag war es nicht hell geworden.
    Die Kirchenbänke standen, obwohl wir uns in einem Strom von Kirchgängern bewegt hatten, sonderbar leer. Die Menschen scharten sich um die Krippe, nicht in Andacht und Gebet, sondern in tuschelnder Neugier. Jeder versuchte einen Blick zu tun auf das, was da in der Krippe lag. Flüsternd reckte man die Hälse aus den schweren Wintermänteln, die vor Nässe dampften.
    Wat is denn do los ? fragte die Mutter, aber ich zog sie schon an der Hand zur Krippe,

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