Das verborgene Wort
mehr heraus.
Zu Hause hatte ich eine Puppe mit Porzellankopf, gelben, strohigen Haaren, blaustarrenden Augen und einem Balg aus Stoff, lachsfarben wie die Korsetts, die die Tante vom Wäschemann kaufte, nur aus stumpferem Material und schon etwas schmutzig. Ich fütterte ihr einen Haufen Plätzchen, bis sie einen verdorbenen Magen hatte und alles wieder ausspucken sollte. Ich redete ihr gut zu. Ihr rosiges Mündchen öffnete sich nicht. Was blieb mir übrig, als nachzusehen, wo das Gebäck geblieben war. Aus dem Balg rieselte aber nur kleingehacktes Stroh. Ich erhob ein Geschrei, die Mutter, die Großmutter stürzten herbei, schimpfend, und ein paar rechts, ein paar links. Waat, bes dä Papp no Huus kütt.
Ich rührte die Puppe nicht mehr an, ließ sie sitzen in ihrem weinroten Taftkleid, ihrem zugestopften Balg, ließ sie grinsen und unschuldig tun. Ihr hatte ich drei auf die linke, drei auf die rechte Hand mit dem Stöckchen zu verdanken. Mit Puppen war ich fertig.
Im Sommer darauf luden uns die Rüppricher, die Schwestern und Nichten und Neffen meines Vaters und sein Stiefvater, zu einem Ausflug nach Schloß Burg ein. Der Vater meines Vaters hatte sich kurz nach der Geburt des dreizehnten Kindes die Kehle durchgeschnitten. Mit demselben Messer wie für die Ferkel, fügte Tante Angela, die Schwester meines Vaters, jedesmal mit schaudernder Lust hinzu. Die Mutter hatte später den Großknecht geheiratet. Mein Vater, damals elf, lief ein paarmal von zu Hause weg, versuchte, eine Tante in der Eifel zu erreichen, wo er nach dem Selbstmord des Vaters ein paar Monate gelebt hatte.
Der Großvater aus Rüpprich verstand von Schweinen und
Kühen mehr als von Kindern und teilte die Menschheit in Herren und Knechte. Kinder zählten zu den Knechten. Im Unterschied zu dem Großvater im Haus nannten der Bruder und ich ihn den falschen Großvater. Er war ein schöner alter Mann mit schneeweißem Haar, das ihm in einer Locke in die Stirn fiel, dunkelblauen Augen und einer scharfen Nase, Lippen, die rot und voll wie die eines jungen Mannes aus seinem Bart hervorschauten. Ein Bauer wie aus dem Bilderbuch oder wie der Oberförster, der im Märchen dem bösen Wolf den Garaus macht. Er hielt sich sehr aufrecht, und seine Bewegungen waren hölzern und abgehackt wie seine Stimme, die ich fürchtete. Aber er war leicht zufriedenzustellen, der schöne Mann, wußte nichts anzufangen mit den Enkeln vom Stiefsohn und suchte doch für die wenigen Stunden unserer seltenen Besuche seine Großvaterrolle so gut wie möglich zu spielen. Also ließ er jedesmal etwas springen, wie die Mutter es nannte. Wat hät he denn diesmol springe loße, war ihre erste Frage, wenn wir die Tür des Bauernhauses hinter uns zugezogen hatten und sie mir die Hand aufbog, die sich um eine Münze krampfte.
Nach Schloß Burg fuhr man, um die Burg zu besuchen. Den Fußweg zur Burg säumten Buden mit Lebkuchenherzen >Ewig Dein<, Anstecknadeln für Ausflugskäppchen und Muschelkästchen, Schmuck aus geschliffenen Rheinkieseln, Märchenbauklötze, Bällchen an Gummibändern, Diabolos. Vor einer Bude mit Puppen blieben wir stehen. Da saßen sie, all die feinen Fräuleins mit wallenden Locken, Unschuldslächeln, Kulleraugen. Holländerinnen in Holzschuhen und spitzen Hauben, Schwarzwälderinnen mit Bollenhut und schwarzem Mieder, Rotkäppchen, ihr Körbchen im Arm, Bräute, gekrönt von Diademen, daran Schleppen, dünn wie Gardinen. Ich mochte sie nicht. Sie waren Bälger aus Stroh, ohne Herz.
Mein Blick fiel auf ein kleines Ding in der Ecke, nur etwa ein Viertel so groß wie die protzigen Schwestern, wenn es denn Schwestern waren. Denn das kleine Ding war schwarz und bis auf ein Röckchen aus bunten Bastfäden nackt.
Da, Opa, sagte ich, dat Heidenkind do. Wo?
Do in de Eck.
Der Verkäufer hatte schon begriffen, blies dem Püppchen über den Kopf und wischte es am Hosenbein ab.
Jo, dat schwatte soll et sein, woll, dienerte er im Tonfall des Bergischen Landes. Dat ist ja janz wat Apartes.
Nä, Heldejaad, wat wills de dann mit nem Näjer, do mußte ävver lang für bäde, bes dat dä wieß wird, frozzelte mein Vetter, der gerade eine Lehre bei Schneiders Willi in der Schmiede angefangen hatte. Sein mit Wasser straff nach hinten gekämmtes schwarzes Haar wuchs ihm in einem spitzen Winkel tief in die Stirn, was ihn, zumal seine Augen ein wenig schräg standen, dem Teufel in der Bibel ähnlich machte.
Ph, stieß ich hervor, wie immer, wenn ich meinen Willen durchsetzen
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