Das verborgene Wort
braten, damitman sich am Abend daran gütlich tun könnte. Nun briet die Frau das Huhn knusprig und braun, innen aber ganz saftig. Und als es so aus der Backröhre kam, duftend und dampfend, sprach sie zu sich: Nun, so werde ich von meinem Teile schon einmal kosten dürfen, ob es denn auch mundet, riß ein Hühnerbein ab und biß hinein. Es schmeckte köstlich, und die Frau sagte zu sich: Nun weiß ich, wie das dunkle Fleisch am Bein schmeckt. Aber weiß ich denn, wie das weiße Fleisch der Brust schmeckt? Aniana machte eine Pause. Habt ihr alle eure Butterbrote dabei? Dann wollen wir jetzt einmal kräftig hineinbeißen.
Stück für Stück verzehrte die Frau erst ihre Hälfte vom Huhn, dann die ihres Mannes, und wir aßen mit, saftigen Hühnerbraten statt Graubrot mit Rübenkraut und Holländerkäse. Ich schmeckte nichts. Mir war schlecht, genau wie der Frau mit einem ganzen Huhn im Magen und Angst vor ihrem Mann.
Ihr Herz wird schwer, fuhr Aniana fort, und ihr Kopf wird schwer, ihre Füße, ihre Beine und ihr Bauch werden schwer. Tiefe Kuhlen entstehen, wo die Frau auf die Wiese tritt, um die Ziege in den Stall zu holen. So aber kann es gehen, wenn man etwas auf dem Herzen hat, das man nicht laut zu sagen wagt.
Aniana machte eine Pause.
Es wurde Abend und die Frau so schwer, daß sie sich nicht mehr zu rühren wagt. Als der Mann nach Hause kommt, will sie aufstehen, da bricht der Stuhl unter ihr zusammen. Der Mann will ihr aufhelfen, muß sie aber wieder herunterplumpsen lassen.
Kaum aber hat die Frau ihrem Mann gebeichtet, fällt alles Schwere von ihr ab, ist ihr leichter als je zuvor. Sie schwor sich, nie wieder zu verschweigen, was sie auf dem Herzen hätte. Denn wem das Herz schwer ist, dem ist alles schwer.
Während der letzten Sätze hatte die Kirchturmuhr zwölfmal geschlagen.
Heute kommt das Gewitter schon früher, Kinder, sagte Aniana. Am besten, ihr geht jetzt gleich nach Hause.
Wenn der Kindergarten zu Ende ging, wurde gebetet. Wir faßten uns reihum an den Händen, die wir feierlich gewichtig schüttelten, und zwitscherten: Auf Wiedersehen mit Gott.
Mit Gott, liebe Kinder, wiederholte Aniana, kommt gut nach Hause.
Anianas Wünsche trugen so viel Kraft in sich, daß sie ein Segen waren.
Ich verbrachte den Nachmittag mit Frau Peps im sachten Trommeln der Tropfen aufs Blechdach unterm Schuppen. Draußen spielten der Bruder und die Nachbarskinder Schweinekoben. Wie gerne hätte ich mitgemacht, mich, nackt bis auf ein Unterhöschen, in dem warmen schlammigen Wasser gewälzt, das sich bei jedem Regenguß in den tiefen Schlaglöchern der Straße ansammelte. Ich traute mich nicht. Mein Herz war schwer, gefährlich schwer. Meine Fußstapfen in der aufgeweichten Straße teuflisch tief.
Am nächsten Morgen lief ich Aniana entgegen.
Die grüne Vase, stieß ich hervor.
Ja? Sie sah mich an. Sie wußte alles.
Esch han se kapott jemat, stieß ich hervor, zog den Hals zwischen die Schultern und machte den Rücken krumm, als mir die Hand der Schwester unters Kinn griff und den widerstrebenden Kopf langsam und sanft nach oben drückte. Sekundenlang glaubte ich, in das Antlitz der Mutter Gottes aus dem Rheinkapellchen zu sehen, wenn die Sonne durch die bunten Glasscheiben fällt.
Danke, sagte Aniana, und strich mir mit der Hand, trocken und warm wie die Blätter vom Apfelbaum im Sommer, über die Stirn. Mein Herz so leicht, daß ich davonflog mit den Ahornnasen bis zu Haus ans Gartentor. Da stand die Mutter und fragte: Wat wills de hie ald su froh? Kunnte se desch nit mi ushale, nicht mehr aushalten?
Mit Puppen hatte ich kein Glück.
Josef, lieber Josef mein<, sollte ich singen und dazu eine Puppe hin- und herbewegen, Mutter Maria im Krippenspiel.
Siehst du, so mußt du das Jesuskind halten, sagte Aniana bei der ersten Probe zu mir. Sie legte sich das Bündel in die Beuge des linken Arms, hob und senkte es weich und schwingend nach rechts und links.
So, sagte sie und gab mir die Puppe.
Josef, lieber Josef mein<, begann ich und ruckte die Puppe mit ausgestreckten Armen auf und ab.
Nein, Hildegard, unterbrach Aniana mich. Du hast dein Kindchen doch lieb, du mußt es an dich drücken.
Ich drückte, daß mir die Luft zum Singen wegblieb.
Ach, Kind. Aniana setzte mich in ihren Schoß mitsamt der Puppe und wiegte mich, als wäre ich noch ganz klein. Ihr schwarzes Gewand um mich herum wie der Mantel der Mutter Maria, ihr Geruch nach Weihrauch, Kernseife und sauren Äpfeln. Aus diesen Armen wollte ich nie
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