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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Blitzblitz, »jetzt und in der Stunde.. .<
    Do hät et enjeschlaje! schrie die Mutter.
    Maria! rügte die Großmutter, »unseres Todes. Amen.<
    Sobald das Gewitter nachließ, wurden die Gebete wieder unterbrochen, um den Abstand zwischen Blitz und Donner zu messen. Bei zehn hörte man auf. Mitten in einem Gesetz. Bei fünfzehn riß die Mutter die Fenster auf und band sich ihre Halbschürze wieder vor den Kittel. Der Vater machte, daß er rauskam. Die Großmutter schob die beiden inneren Ringe der Herdplatte mit dem Feuerhaken beiseite und fegte die feine Kräuterasche in die Glut. Lange noch schnüffelte ich dem Duft gottgeweihter Gefahr hinterher.
    Kaum hörte es heute zu regnen auf, ergriff ich Frau Peps, hockte mich hintern Hühnerstall und erzählte ihr noch einmal die Geschichte von der Sammeltasse. Der Tasse mit Vergißmeinnichtgirlanden um Goldbuchstaben >Fern gedenk ich Dein<, die der Vater der Mutter geschenkt hatte, als sie sich noch in den Rheinwiesen trafen. Die Tasse war in sieben glatte Stücke zerbrochen. Ich trug sie zum Großvater.
    Kanns de die widder janz mache eh der Papa kütt? schluchzte ich. Nu, nu, sagte der Großvater und kaute auf seinem Pfeifenstiel. Kalt rauchen, nannte er das.
    Loß ens sinn. Er fügte die Scherben zusammen, die Tasse stand wieder vor uns. Ich klatschte in die Hände.
    Nä, Kenk, so flock [12] jeht dat nit, dat muß esch Herne [13] , und dann muß et drüje [14] . Dat durt e paar Daach.
    Opa, schluchzte ich, die Mama sät et dem Papa, un esch kann doch nix dofür.
    Nu waat ens äff, sagte der Großvater. Et is doch nur en Taß. Esch kall [15] ens met däm.
    Misch desch do nit in. Dat jeht desch nix an, fuhr die Mutter dazwischen und raffte die Scherben an sich.
    Ich wich dem Großvater nicht von der Seite. Sogar zum Lachen brachte er mich mit seiner Geschichte vom Mann, dessen Nase, sooft er kleine Kinder verhaute, ein Stück länger wurde. Viele Male mußte er sie sich um den Hals wickeln, um nicht mit eigenen Füßen darauf zu treten, und schließlich erwürgte er sich mit seiner eigenen Nase.
    Abends zerrte mich der Vater am Großvater vorbei ins Wohnzimmer. Die Mutter hob das Röckchen hoch und hielt mich fest. Das Stöckchen sauste vierzehnmal, für jede Scherbe zweimal, einmal für Papa, einmal für Mama.
    Ich hatte dies Frau Peps schon oft erzählt. Jedesmal tat es weniger weh. Jedesmal graute mir weniger vor dem Mann mit dem Stöckchen hinter der Uhr, beinah nicht mehr als vor dem Menschenfresser im Märchen.
    Frau Peps wußte für mich und die grüne Vase keinen Rat. Außer beten. Ich folgte ihr, halbherzig. Gebete hatten nur eine Chance, wenn das Erflehte eine Sache zwischen Gott und mir blieb. Versprach ich ihm, die drei Strophen des neuen Gebets jeden Tag einmal herzusagen, sorgte er dafür, daß ich sie am Ende der Woche auswendig wußte. Zwischen mir, Gott und der grünen Vase stand Aniana.
    Nachts träumte ich häufig von goldenen Münzen, wühlte sie aus dem Dreck im Rinnstein und versteckte sie im Strumpf unterm Fuß. In dieser Nacht träumte ich von grünen Vasen. Sie ließen sich pflücken wie reife Früchte und schlecken wie Eis. Sie schwammen im Rhein, kleine grüne Kaulquappen-Vasen, man konnte sie mit Marmeladengläsern fangen und nach Hause tragen, und die zappelnden Blätter der Pappeln am Damm waren bauchige Vasen, golden gesprenkelt vom Sonnenlicht.
    Nur für kurze Zeit hatte das Gewitter Abkühlung gebracht. Die Regentonne lief über, ein Sturzbach, roch nach Eis und Blumen und dem Tag der Nacht. In den flachen Pfützen badeten Spatzen.
    Hät dat Kenk Fever? fragte die Großmutter und legte mir ihre Lippen auf die Stirn, als sie mir das Brottäschchen umhängte.
    Nä, entschied sie, et es heeß, treck [16] de Jack us.
    Im Kindergarten lief ich gleich zum guten Zimmer. Die Tür war verschlossen.
    Draußen hatten sich alle schon um Aniana versammelt. Wir saßen im Gras unter der Kastanie, beteten >Ich bin klein, mein Herz ist rein<, sangen das Lied vom Fähnchen auf dem Turme, matt und kraftlos drehten wir unsere Händchen im Wind, der nicht wehte. In meinem Kopf wirbelten Türklinken, Vasen, Scherben durcheinander, als Aniana begann, einfach so, aus dem Kopf, ohne Buch, es war einmal... Eine Vase, hätte ich beinah geschrien, aber ich hielt mir beide Fäuste vor den Mund und schaute Aniana verzweifelt an. Es war einmal eine Frau, der brachte eines schönen Tages ihr lieber Mann ein ganzes, sauber gerupftes Huhn mit nach Hause. Das sollte sie

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