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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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man ihn morgens neben seinem Fahrrad in der Hecke des Kirchgäßchens liegen, wenn er im Eifer des Gefechtes für die gute Sache - den Wiederaufbau der Kirche - einen über den Durst getrunken hatte, um die Spender in eine mildtätige Stimmung zu versetzen. Meine Großmutter knickste, wenn sie ihm auf der Straße begegnete, und hielt mich auch dazu an.
    Ja, mein Kind, wandte sich Pastor Kreuzkamp als erstes an mich, wo ist denn der kleine Fritz? Ich vergrub meine Hände in den Manteltaschen. Was hatte der Pastor vor?
    Los, zesch dem Herr Pastor de Popp. Die Mutter schubste mich vorwärts.
    Da, sagte ich und setzte Fritz neben das Weihrauchfäßchen. Mir war heiß. Die Mütze kratzte auf Stirn und Ohren, die Füße in den Wollsocken und Gummistiefeln waren geschwollen. Der Pastor drehte Fritzchen in seinen gepflegten Händen hin und her, hob ihn sogar unter das Licht der Lampe, als könne er ihm so sein Geheimnis entlocken.
    Was hast du dir denn dabei gedacht, hm? Was sollte denn das Fritzchen bei dem Jesuskind?
    Dat Fritzje is doch schwaz, sagte ich, und esch han doch so viel jebetet, et sollte doch weiß werden, weil et doch kein Heidenkind mehr is. Un esch hab jedacht, dat Jesuskind kann dat. Avver isch hab noch wat verjesse... Ich nestelte meinen Rosenkranz aus der Tasche und wand ihn der Puppe ein paarmal um den Hals. So, dat und dat Christkind, dat muß hölpe.
    Aber Hildegard, sagte der Pastor und warf den Eltern einen raschen Blick zu. Die standen da in der Haltung von Untergebenen, bereit, jeden Befehl willig entgegenzunehmen.
    Hildegard, ist das denn wirklich so wichtig, daß Fritzchen weiß wird? Nä, sagte ich, aber die Oma sacht und die Mama, daran kann mer sehen, dat et kein Heidenkind mehr ist un ob isch jenuch jebät han.
    Aber Hildegard, du bist doch ein großes Mädchen. Glaubst du wirklich, der liebe Gott hätte die Schwarzen schwarz gemacht, wenn er sie lieber weiß gehabt hätte?
    Darauf hätte ich auch selbst kommen können! Schließlich wußte ich längst, daß der Allmächtige alles kann, was er will. Der liebe Gott stand auf meiner und Fritzens Seite, gegen Mutter und Großmutter und alle Verächter der Heidenkinder. Der liebe Gott war weit vernünftiger als die Großmutter. Und mächtiger. Allmächtig eben. Der Vater hatte sich abgewandt und in die Betrachtung eines Schränkchens vertieft; hinter geschliffenem Bleiglas sah man goldenes Meßgerät schimmern. Die Mutter blickte abwechselnd zum Pastor hinauf und auf mich hinunter, griff nach dem Bruder und stellte ihn zwischen ihre Knie, schlug den Arm um ihn und preßte das Handtäschchen vor die Brust.
    Der Pastor räusperte sich. Liebe Frau Palm, sagte er, Ihre Tochter hat eine ganz ungewöhnlich lebhafte Phantasie. Sie können stolz sein auf Ihre Tochter.
    Die Mutter zog den Bruder näher zu sich heran. Phantasie? Für den Pfarrer hatte ich Phantasie, für die Mutter war ich dat dolle Döppe. Ich erkannte in ihren Augen diese Mischung aus Angst und Ärger, mit der sie mich ansah, wenn Aniana ihr von meinem reinen Herzen erzählte. Der Vater trat von dem Schränkchen zu uns zurück und schlug mit leichten, schnellen Schlägen die Handschuhe gegen die Hutkrempe.
    So, Hildegard, sagte der Pastor, da hast du dein Fritzchen wie-der. Er nahm meine beiden Hände und legte die Puppe hinein. Sie war jetzt heiß und ein bißchen feucht. Dann wölbte er seine großen warmen Hände um die meinen, daß Fritzchen aus diesem doppelten Dom nur noch mit seinem zelluloidkrausen Haar herausschaute. Paß gut auf Fritzchen auf. Und nun wünsche ich Ihnen allen noch einmal eine gesegnete Weihnacht, und die besten Grüße zu Hause.
    Noch am selben Abend begann die Großmutter zu häkeln. Ein Hemd und eine Hose für Fritz. Besonders eine Hose. Aus reiner Baumwolle und weiß wie ein neuer Topflappen.
    Beides zog ich ihm gleich wieder aus. Nur wenn der Ohm kam, verkleidete ich Fritzchen als Christenkind. Der Ohm war ein Bruder der Großmutter, Pater bei den Oblaten. Die Familie hatte hart für seine Priesterweihe gespart, der Ohm war die irdische Beglaubigung ihres himmlischen Kontos. Höher als das seine stand nur Gottes Wort. Kam der Ohm zu Besuch, geriet die Großmutter Tage vorher in flatternde Aufregung. Mitten in der Woche wurde Rindfleischsuppe gekocht. Sauerkraut und Kartoffelbrei aß er am liebsten; wir teilten uns eine Bratwurst, er bekam Kasseler Kotelett. Der Vater verschlang sein Essen noch schneller als gewöhnlich und verschwand grußlos im Schuppen.

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