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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Lux - ich hatte seinen Namen nie gelesen - sah aus wie der Mann auf der Doppelseite im >Quelle-Katalog<: Anzüge >Für den Herren« und Krawatten aus >echt Seide«. Graumeliert, eine Andeutung von Tolle in der Stirn, eine silberne Brille an schwarzen Bügeln, unter dem kurzgestutzten Schnurrbart ein Lächeln wie festgeschraubt. Mit ihm war ein anderer Geruch in die Halle gekommen, herber als die Parmaveilchen, die ich von Federico kannte, milder als die Mischung von Juchten und Leder beim Bürgermeister mit dem Blumentopf. Der Duft drang Dr. Luchs aus jeder Pore, jeder Faser seines trotz der Hitze korrekt geknöpften Zweireihers aus sommerlich grauem Gabardine, brach durch das blütenweiße Hemd und die mattschimmernde, gelb-blaue Krawatte. Anders als Herr Vetten stürzte Dr. Luchs keineswegs durch die Tür. Er schritt. Schritt zum oberen Ende der Halle und öffnetedie Tür zum Flur. Der Luftzug tat gut. Die Frauen murmelten beifällig. Dr. Luchs machte kehrt und begab sich ans untere Ende des Bandes. Wo das Drunter und Drüber am größten war, blieb er stehen. Stand. Winkte Meister und Vetten heran und verteilte die beiden Männer, beide mindestens einen Kopf kleiner als er, rechts und links neben sich, eine Dreiergruppe mit sakralem Anstrich, trauernde Frauen ums Jesuskreuz, Himmelfahrt eines Heiligen. Dr. Luchs die Spitze, das herausragende Element. Während die kleinen Männer ihre Hände etwa in Höhe des Geschlechtsteils gefaltet vor Kittel und Hose hielten, hatte Dr. Luchs die Arme vor der Brust verschränkt, die sich natürlich und stattlich, ohne die geringste Anstrengung unter seinem schneeige Frische verströmenden Hemd wölbte, und blickte aus seiner mühelos aufrechten Höhe, nein, nicht auf das Fließband, die Abfüllmaschine oder gar auf uns Frauen. Dr. Luchs blickte ins Ungefähre und über alles hinweg. Er schwieg. Aber er war da. So da, daß seine Anwesenheit in der Halle Platz griff, als hätte er ein unsichtbares Gas versprüht. Die Frauen, eine nach der anderen, wurden still. Die am hinteren Ende, ihm zunächst sitzend, zuerst, bis auch die lautesten bei der Abfüllmaschine verstummten.
    Meine Damen, begann Dr. Luchs und räusperte sich wie der Pfarrer, nachdem er die Gemeinde >Meine Kinder< genannt hatte. Nutzte dieses Räuspern zu einem schnellen Blick über unsere Gesichter, spürte an einer kaum wahrnehmbaren Entspannung die Wirkung der Anrede und legte nach: Meine verehrten Damen. Er wechselte die Arme in der Verschränkung vor der Brust und nickte begütigend.
    Meine Damen. Der Meister nahm die Hände vom Hosenschlitz vor die Brust wie zum Gebet. Sie denken, das Werk braucht Sie. Ohne Sie geht nichts.
    Das hatte ich nie gedacht. Aber wenn Dr. Luchs es sagte, mußte etwas daran sein.
    Das ist richtig. Seine Stimme war gepflegt wie die ganze Erscheinung. Sie erweckte Vertrauen und das Verlangen, ihrem Besitzer zu Willen zu sein. Aber was ist dieses Werk, diese Fabrik, die Sie braucht? Das ist doch nicht Herr Dr. Dr. Maternus, der uns, ich sage uns, meine Damen, Ihnen und mir, Lohn und Brotgibt. Es sind doch die vielen Menschen, kranke Menschen, Männer und Frauen und Kinder, Kinder, meine Damen, die diese Medikamente, die wir alle für sie bereitstellen, brauchen.
    Der Satz, das merkte der Redner an der nachlassenden Aufmerksamkeit, war zu lang gewesen. Luchs wiederholte ihn, stückweise. Männer, Frauen und Kinder brauchen diese Medikamente. Kinder, meine Damen. Kranke Menschen brauchen Sie, meine Damen. Jede von Ihnen. Sie haben von unserem Auftrag für Indien gehört. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind ist krank. Da liegt es, mit hohem Fieber, die Lippen gesprungen, der Bauch vor Hunger gebläht. Und Sie haben nichts, ihm zu helfen. Kein Mittel. Weil das Mittel nicht geliefert worden ist. Und warum ist das Mittel nicht geliefert worden? Ist es nicht produziert, äh, gemacht worden? Doch. Aber es ist nicht verpackt worden! Hier! Dr. Luchs riß seine Arme aus der Brustverschränkung und streckte seine Rechte anklagend Pillen und Röhrchen entgegen. Einige waren gesplittert, Pillen verstreut. Hier liegt der Grund, weshalb in Indien die Kinder sterben. Seine Stimme zitterte. Er machte eine Pause.
    Die Frauen sahen in den Schoß. Frau Söhlgen, Mutter dreier Kinder, der Älteste ging gerade zur Schule, putzte sich die Nase und seufzte. Zwei, drei weitere Frauen seufzten auch. Ich konnte meinen Blick von Dr. Luchs nicht abwenden, von seiner gedrechselten Haartolle, dem Schimmer seiner Krawatte, dem

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