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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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gespielt hatten. Als der Meister uns schließlich fast hinauswarf, sah ich mich in der Tür noch einmal um. Hohes Nachmittagslicht schillerte im Pillenstaub, lag auf Abfüllmaschine, Fließband, Kartons. Die Halle war schön. Für kurze Zeit war der Arbeitsplatz ein Kampfplatz gewesen. Der Platz unseres Sieges. In dem Gang zu den Spinden brummte noch eine Wespe, oder war es doch eine Hornisse. Wir geleiteten sie an den Stechkartenkästen, am Pförtner vorbei, im Triumphzug ins Freie.
    Draußen wartete Peter schon seit über einer halben Stunde. Peter war geduldig. Das hatte ihn der Umgang mit den Pflanzen gelehrt. Aber er kannte, ging es nicht um Pflanzen, auch keine Begeisterung. Als ich ihm von diesem Nachmittag erzählte, brachte das sein antikes Profil kaum in Bewegung. Langsam und mit
    Nachdruck, so, wie er sprach, wenn er eine Pflanze bestimmte, sagte er: Hildegard, er sprach meinen Namen nun stets mit äußerster Korrektheit aus, als sei ich eine Pflanze, Hildegard, dat war nit rescht. Dat war fresch. Der arme Dr. Luchs. Wespen sin jefährlisch. Un keine von eusch hat dem jeholfen. Ich seufzte und schaute Peter von der Seite an. Er hielt die Mappe vor die Brust gepreßt, und seine Lippen waren das einzige, was sich in seinem Gesicht bewegte.
    Zu Hause saß die Mutter mit rotgeschwollenen Händen, beide Gelenke fest umwickelt, über Körben mit Ketten. Die Fabrik hatte einen Sonderauftrag schnell zu erledigen. Der Vater arbeitete noch im Garten des Prinzipals. Die Großmutter schnippelte Bohnen. Der Bruder bastelte an seinem Fahrrad. Meine Bücher im Holzschuppen kehrten mir ihre Rücken zu. Ich zog das Heft >Schöne Sätze< hervor und blätterte darin. >Es gibt Taten, die sich keinem Menschenurteil mehr unterwerfen - nur den Himmel als Schiedsmann anerkennen.< - >Und kam die Hölle selber in die Schranken, mir soll der Mut nicht weichen und nicht wanken.< - >Hohl ist der Boden unter den Tyrannen, die Tage ihrer Herrschaft sind gezählt, und bald ist ihre Spur nicht mehr zu finden^ - >In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne.< - >In seinen Taten malt sich der Mensch.< Friedrich verstand mich.
    Tagelang sprach das Dorf von nichts anderem als von die Wiever beim Maternus, die et denne do ovve gezeigt hatten. Aus den Wespen wurden dabei endgültig Hornissen. Auch bestand man darauf, daß sie gestochen hätten. Die Stiche schwankten zwischen zwei und zehn. Und daß ich Jedischte jemacht hätte, fre- sche. Lööf dat Band ze flöck, wäde mer verröck, wurde eine Zeitlang zum geflügelten Wort zwischen Dondorf und Strauberg. Die Mutter schämte sich. Für so was schickte man dat Kenk nit op de Scholl. Ob der Vater von der Geschichte hörte, erfuhr ich nie. Die Großmutter, die von ihren Heiligen und nicht zuletzt von Jesus einiges an Rebellion gewohnt war, nickte mir billigend zu. >Du sollst Jott mehr jehorschen als den Menschen<, gab sie mir mit auf den Weg. Und: >Eher jeht ein Kamel durschs Nadelöhr als ein Reischer in das Himmelreisch.< In bestem Hochdeutsch.
    Tage später fand ich hinter meiner Stechkarte einen Brief von der Geschäftsleitung, unterschrieben vom Prokuristen persönlich. Nun wußte ich endlich, daß er sich Luchs schrieb. Gut so. Ein x hätte ich ihm nicht gegönnt. Ich sollte mich im Personalbüro einfinden. Dat Heldejaad is einbestellt, orakelten die Frauen.
    Herr Vetten, geistig und körperlich wieder auf Zehenspitzen, das ungesunde Fett poliert und gestrafft, teilte mir mit, daß man mich nur behalte, weil man Arbeitskräfte brauche. Die Kinder in Indien, ich hätte es ja gehört. Aber es sei das letzte Mal. Im nächsten Jahr wolle man mich hier nicht mehr sehen. Und jetzt hätte Herr Dr. Luchs noch ein Wort mit mir zu reden.
    Ich mußte, nachdem die Tür schmatzend hinter mir zugefallen war, eine Weile gehen, bis ich vor dem aufgewölbten Schreibtisch des Prokuristen stand. Dastand und warten mußte, bis der Mann es an der Zeit fand, einen Augenblick nicht mehr in den Papieren zu rascheln und ungefähr in meine Richtung zu sehen, ehe er den Kopf wieder senkte und zu kramen fortfuhr. Minutenlang ließ er mich so stehen. Bot mir auch keinen Platz an, als er zu reden begann, hochaufgereckt aus seinem sesselartigen Stuhl auf mich herabsprach von seiner Enttäuschung, der Enttäuschung des Dr. Dr. Maternus und seiner Familie. Niemand verstünde, daß ich mich mit diesen Frauen gemein gemacht habe. Jeder wisse doch, daß die Gemeinde das Schulgeld für mich bezahle.
    Wissen Sie denn nicht,

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