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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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versetzte Lore und zwinkerte mir vertraulich zu. Sie wartete auf ein Geständnis unter vier Augen, das sie unter dem Siegel der Verschwiegenheit Tilli Heinzen stecken würde, die wiederum der Resi und so fort, stille Post, bis ich schwanger sein und in vier Wochen niederkommen würde.
    In den Bohnen waren wir, sagte ich. Stangenbohnen, Schattenbohnen, Schlachtschwertbohnen, weiße Riesen, Wilhelms Liebling, schwarze Neger, dick und hart. Die Frauen, Lore vor allem, fühlten sich auf den Arm genommen. Im Grunde hielten sie von der Wirklichkeit nicht mehr als ich. Sie wollten Geschichten, die sie darüber hinaustrugen. Georg hatte ich mit seinem hellblauen Pullover verraten. Peter wollte ich weder opfern noch in eine Geschichte verwandeln. Ich blieb bei der Wahrheit. Die Frauen glaubten kein Wort.
    Einmal hatte es eine von ihnen genau wissen wollen und war uns heimlich gefolgt. Ich belauschte ihren Bericht, versteckt zwischen den Spinden. Daß wir eine Bank auf dem Damm und nicht fünfzig Meter weiter unterhalb in den Weiden gewählt hatten, rief bei den Frauen ungläubiges Kopfschütteln hervor. Dann han mer dem Heldejaad doch Unrät jedonn un se jonn werklesch ende Bunne, faßte Lore zusammen, und die Frauen, noch immer kopfschüttelnd, gingen auseinander.
    Peter hatte mir an jenem Abend vom Klee erzählt. Zuletzt vom vierblättrigen, mit dessen Hilfe man Zauberer entlarven konnte. >Auf die Rache des entlarvten Zauberers kommen wir beim Flachsfelde zurück«, hatte Peter gelesen.
    Also, unterbrach ich ihn, was ist mit dem Zauberer? Auf, zum Flachsfeld. Peter sah mich stirnrunzelnd an. Flachsfeld, echote er, wo ist denn hier ein Flachsfeld?
    Hier doch nicht, sagte ich. Im Buch. Da, wo das von des Zauberers Rache steht. Doch Peter war nicht zu bewegen, der Wirklichkeit vorzugreifen. Beharrte darauf, angesichts des Klees vom Klee und des Flachses vom Flachs zu lesen, niemals aber vorm Klee vom Flachs. Vergeblich meine Versuche, ihn davon zu überzeugen, daß der Klee im Buch ein anderer sei als der vor unserer Nase. Der Klee im Buch den Klee aller Felder und Jahrhunderte umfasse, das bißchen Klee hier inbegriffen, so nebenher, ein Kinkerlitz. Peter aber blieb bei seiner Ansicht, ohne diesen Klee, das heißt, wenn wir nie einen bestimmten Klee gesehen hätten, wüßten wir gar nicht, was mit Klee gemeint wäre, wenn wir von ihm läsen.
    Hast du denn als Kind nie von einer Königskutsche gelesen?
    Doch, sagte er.
    Aber gesehen hast du einen König oder eine Königskutsche noch nie? Nä.
    Aber vorstellen kannst du dir einen König und eine Kutsche?
    Peter blickte mich mit der Tragik einer griechischen Statue an. Was hatte ein König, was eine Kutsche mit Klee zu tun? Er nickte.
    Also, trumpfte ich auf, wenn du dir einen König und eine Kutsche vorstellen kannst, ohne je eine gesehen zu haben, dann geht das auch mit Flachs. Ich kann mir also ein Flachsfeld vorstellen. Nein, ich hatte keine Ahnung, wie Flachs aussah. Und während wir es uns vorstellen - der Sprung vom Ich zum Wir war ein unfeiner Trick -, liest du die Geschichte vom Zauberer vor. Sich ein Flachsfeld vorzustellen ist so gut, wie eines zu sehen. Ich log. Ein Flachsfeld vorstellen konnte ich mir nicht, wohl aber einen Kö-nig und eine Kutsche. Im Unterschied zu einem Flachsfeld hatte ich König und Kutsche, Feen, Zwerge, Elfen auf Bildern gesehen. Meine Vorstellungen von König und Kutsche waren eben Vorstellungen von Bildern von König und Kutsche. Dennoch glaubte ich sicher zu wissen, wie sie aussahen.
    Peter stupste mich mit dem Ellenbogen. Nä, sagte er, dat is Betruch. Vor Empörung war er wieder ins Kölsch verfallen. Em Booch stonn Wööd un hie steht Klee un kenne Flachs.
    Ich nickte ergeben. Meine eigenen Spitzfindigkeiten hatten mich verwirrt. Peter hatte das Problem mit einem Satz getroffen. Gelöst hatte er es nicht. Und während er fortfuhr, den botanischen Ursprung des Klees anhand des Großvaterbuchs auseinanderzufalten, gemeiner Klee, Bitterklee, Steinklee, Klee in den Sümpfen, versuchte ich, durch inständiges Wiederholen des Wortes >Flachsfeld< ein Flachsfeld heraufzubeschwören, wobei das Wort sich am Ende in bloße Laute auflöste. Hatte Peter recht? Funktionierten die Bücher nur, weil sie aus der Wirklichkeit kamen? Konnten sie aus der Wirklichkeit nur fortführen, weil sie die Wirklichkeit kannten? Waren die Dinge den Wörtern so sehr überlegen, daß alles immer wieder auf sie zurückführte?
    Regungslos hatten wir auf der Bank

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