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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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der Onkel erwarte ein ex-zel-len-tes Zeugnis. Es gebe nämlich noch einen Vetter, ein Jahr jünger, Unterprima, und, wer weiß, was dem Onkel in den Kopf kommen könnte, wenn der ein noch ex-zel-len-te-res Abitur hinlege. Soweit verstehe sie ihn, sagte Doris. Aber Karola habe am Samstag gesehen, wie er mit Monika Schwamm den Weg in die >Bäume< eingeschlagen habe. Ausgerechnet mit dieser dummen und faulen Person, die im Schuhladen ihres, Doris', Vaters arbeite. Als Lehrmädchen. Und noch dazu eine aus den Häusern beim Wällchen, wo Familien wie die Dondorfer Kackallers wohnten. Und das in aller Öffentlichkeit, wütete Doris. Sie hatte Robert dort immer nur heimlich getroffen. Ein Lehrmädchen! Pah!
    Mit dir geht er in die Eisdiele, sagte ich. Mit der Monika in die >Bäume<. Was die Leute von ihr denken, ist ihm egal. Wäre es dir lieber gewesen, alle Welt wüßte, daß du mit Robert in den >Bäumen< warst? In ihrem schmalen Gesicht, das gelernt hatte, Gefühle zu verbergen, kämpften Sehnsucht, Verlangen, Zweifel und Stolz. Der Stolz siegte.
    Du hast recht, sagte sie, mit der Schwamm kann ich es aufnehmen. Ich werde mit Pappi sprechen. Schließlich ist er ihr Chef. Doris warf den Kopf in den Nacken. Das war ja wie im>Hörzu<-Roman. Die reiche Arzttochter räumt mit Hilfe väterlichen Einflusses die tüchtige Stationsschwester aus dem Weg, auf daß ihr die Zuneigung des Oberarztes erhalten bleibe. Doch sollte ich deswegen mit Doris streiten? Was ging mich Monika Schwamm an?
    Doris' Eltern hatten sich schon vor einem Jahr einen Fernseher gekauft. Wenn ich die Freundin besuchte, saßen wir abends davor, fast so gut wie Kino. Nur fehlte die Straßenecke, wo man Jungen und Mädchen treffen, tuscheln und frotzeln konnte.
    An diesem Abend fragte Robert Lembke: >Was bin ich?< Wir beide liebten Guido, sein schlaues Fuchsgesicht, schauten weg, wenn der Beruf eingeblendet wurde, und rieten mit. Meist saßen Doris' Eltern dabei. Ihre Mutter, gepflegt wie aus einer der Frauenzeitungen, die neben dem Rauchtisch in einem geflochtenen Ständer lagen, war unablässig bemüht, uns und ihren Mann mit Salzgebäck, Erdnüssen und Getränken zu versorgen. Doris' Vater war ein korpulenter Endvierziger mit aschblondem, straff und strähnig zurückgekämmtem Haar. Seine große viereckige Brille erinnerte mit ihren dicken schwarzen Rändern an zwei Todesanzeigen und verlieh seinem Gesicht einen Ausdruck herrischen Ernstes, gegen den auch sein stets bereites Lachen nicht ankommen konnte. Gelächter überfiel ihn wie Hagelschauer, platzte aus ihm heraus wie ein Furz oder ein Schluckauf und hatte mit Fröhlichkeit wenig zu tun. Lächeln konnte Herr Granderath nicht.
    Kaum zu Hause, stürzte er ins Schlafzimmer und vertauschte im Sommer Anzug, Schlips und Kragen mit einem kurzärmligen Unterhemd, worüber er im Winter eine weinrote Wolljacke zog; seinen braungrau melierten Hosen war vorn, wie eine lange Biese, eine Naht aufgesteppt. Was fand meine Mutter nur an diesem Mann? Sie hielt wohl sein Lachen für echte Heiterkeit. Wie von einer unsichtbaren Hand gekitzelt, lachte sie jedesmal mit, wenn er Doris bei uns abholen kam.
    In der Regel schlief Herr Granderath vor dem Fernseher ein, schreckte jedoch, ungeachtet der wechselnden Länge der Sendungen, einige Minuten vor deren Ende auf und folgte den letzten Minuten mit manchem >Donnerkeil< und >Kruzitürken<. Sein dröhnendes Gelächter bildete jedesmal den Abschluß des
    Abends. Zeit, an der Matratze zu horchen, ha-ha-ha. Zu meinem Erstaunen umarmte und küßte Doris ihre Mutter und ihren Vater jedesmal. Ja, natürlich tue sie das jeden Abend und beinah jeden Morgen, falls sie die Eltern beim Frühstück antreffe.
    Ein paarmal drang Herrn Granderaths Gelächter noch bis zu uns hinauf, dann war es still im Haus.
    Doris' Zimmer hätte einer Doris aus ihren Jungmädchenbüchern gehören können. Die Möbel mattweiß lackiert, geschwungene Beine und geschwungene Leisten rosa und gold. Auf dem Weg zum Bett versanken die Füße in einem wollweißen Teppich, Flokati, so Doris' Mutter, aus Griechenland. Das Bett war am Tag als Sofa verkleidet mit einer Decke, weicher als Haut, Kaschmir, sagte Doris. Nie konnte ich der Verlockung des Stoffes widerstehen, hüllte mich, während ich tat, als bereite ich das Bett für die Nacht, von Kopf bis Fuß in die Decke, ließ sie an meinen bloßen Armen und Beinen auf und ab gleiten, mich von ihrer Gefügigkeit verführen, liebkoste das Tuch mit Wangen und Hals, gab

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