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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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vergessen, während ich hörte, hörend auszusehen. Wahres Zuhören reizt zum Widerspruch. Und Widerspruch wirkt auf Männer wie Weihwasser auf Teufel: Es schlägt sie in die Flucht. Es sei denn, man läßt durchschimmern, daß es sich bei dem Wagnis des Widerspruchs um einen bloßen Scheinwiderspruch handelt, einen Hundswiderspruch, wie die Hundskamille der echten zum Verwechseln ähnlich. Dann wirkt Widerspruch als verkappter Ansporn, der jeden Mann erst recht zu ausführlichen Darlegungen ermutigt. Allerdings empfiehlt sich diese Art des Servierens von Zustimmung nur im Gespräch mit intellektuellen Feinschmeckern, die hin und wieder sogar echten Widerspruch vertragen.
    Sigismund bevorzugte Hausmannskost. Wie Peter Bender fühlte auch er sich bei den Fakten wohl. In einem Spiel um Satz und Gegensatz, Wort und Widerwort mußte er unterliegen. Vor Fakten hatte ich nicht den mindesten Respekt. Ich liebte Sätze. Also verdrehte ich Sigismunds Behauptungen, Verkündungen, Verlautbarungen in Spitzfindigkeiten, Verrücktheiten, Haarspaltereien, daß es dem Freund den Atem verschlug.
    Anfangs wußte er nicht, wie ihm geschah. Abgekämpft saßen wir uns gegenüber, jeder auf seiner Bank. Sigismund streckte die Beine von sich.
    Ich denke, gähnte er, das gute Wetter hält noch eine Weile an. Ich denke, äffte ich, was heißt denken. Kannst du dir denken, was denken heißt? Du denkst, weil du ein Mensch bist, kannst du denken. Das denkst du dir wohl so. Und der Pitters Tünn, der nicht von hier bis da denken kann, ist der kein Mensch?
    Sigismund sah mich verblüfft an. Ich denke, stotterte er, ich denke, ich denke, also bin ich. Rundheraus und mit fester Stimme sagte er das und setzte sich gerade. Ich denke, also bin ich. Ich kannte den Spruch vom Kalenderblatt, sogar auf Lateinisch. Sigismund schmetterte den Nachnamen des Verfassers zurück. Rene, sagte ich. Das Spiel kam in Fahrt. Wortklaubereien. Mummenschanz. Übermütig maßen wir Kraft und Geschmeidigkeit unserer Gehirne, Fülle und Biegsamkeit unserer Phantasie. Balztänze, Tanzduelle, miteinander, gegeneinander, Figuren der Paarung.
    Von Doris waren in diesem Sommer sechs Postkarten gekommen, Karten voller Unsinnigkeiten und Sehnsuchtsbeteuerungen. Die Sätze galten Robert, nicht mir. Ode sei es in Reit im Winkel gewesen, erzählte sie nun. Robert habe nicht wie versprochen im Nachbarort Quartier gemacht. Statt dessen einen reichen Onkel besuchen müssen, in Kappeln, weit oben in Norddeutschland. Anfangs hätten sie sich noch beinahe täglich geschrieben. Bis ins kleinste kenne sie nun das Anwesen des Onkels, ein Gut von sage und schreibe einhundert Hektar, gemischte Landwirtschaft, Kühe, schwarz-weiß, und Getreide, vorwiegend Weizen, das Haus, ein HERRENHAUS mit Teich, Park, Gemüse- und Blumengarten. Und mit Personal, seufzte ich. Natürlich, nickte Doris. Obwohl es immer schwerer wird, welches zu bekommen, sage der Onkel. Die Leute wollen in die Stadt und in die Fabriken. Und Fremdarbeiter, sage der Onkel, schrieb Robert, kämen ihm nicht ins Haus. Itacker womöglich. Doris zwirbelte einen unsichtbaren Schnurrbart unter ihrer feingeschnittenen Nase, wiegte sich in den Hüften und schüttelte sich.
    Italiener, sagte ich, Gastarbeiter. Die sind nicht schlechter als wir. Ich wurde rot. Manche sogar besser. Ich biß mir auf die Lippen. Das war ich Federico schuldig.
    Ja, sagte Doris, aber doch nicht in ein Herrenhaus. Also hör zu. Itacker, also Italiener, nimmt der Onkel, der Erbonkel, keine. Auch keine Jugos.
    Jugoslawen, sagte ich und dachte an Dunja.
    Also Jugoslawen, die auch nicht. Es gibt in der Gegend nochgenug Deutsche, denen der Onkel in der schlechten Zeit einen Gefallen getan hat, und jetzt sind die dran, sage er, schrieb Robert.
    Während Doris das herrliche Kappelner Anwesen schilderte, überzog sich der dünne Robert samt seinen roten, knochigen Händen, seinen unleugbaren X-Beinen und dem gefährlich auf und ab sausenden Adamsapfel mit Rosenbeeten und Levkojenrabatten, Kieswegen, Geißblatt- und Bohnenlauben, mit Entenjagden und Kutschfahrten, wuchsen ihm lindenbeschattete Auffahrten und Buchenhecken von den Knöcheln empor, Reseden und Lilien über die Knie und darüber hinaus, Weizen erblühte aus seinen dünnen Haaren, Wildbret, Fasane und Kapaune, silberne Leuchter und schweres Besteck, Damasttücher legten sich über Kinn und Stirn. Von wegen Robert, dachte ich. Und daß es Doris mit ihm erging, wie es mir beinah mit Peter und dem Treibhaus

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