Das verborgene Wort
umschließend, meine Hand war ihr ausgeliefert, sie bediente sich ihrer wie eines Gegenstandes. Meine Finger stießen auf Haare. Haare, Haare, Haare. Ich umklammerte das Wort, Planke im Meer. Es war das letzte Wort vorm Ertrinken. Für das, was jetzt kam, hatte ich keine Worte mehr.
Robert, stöhnte Doris, Robert, röchelte sie. Na schön, dachte ich erbost, meinetwegen Robert, dann habe ich mit der Geschichte hier nichts zu tun. Robert hatte keine Angst vor dieser schrumpeligen Rosine, der mein Zeigefinger jetzt entgegengestreckt wurde, dieser aufgeweichten Korinthe, die unter Doris' kreiselndem Unterleib prall wurde wie eine frische Weinbeere, prall und glatt in einer Handbreit Fleisch, naß und schlüpfrig weich wie grüne Seife. Doris hielt meine Hand in ihrem Griff, hart wie die Hand des Vaters, wenn er mich ins Zimmer schleppte zum blauen Stöckchen hinter der Uhr. Die Kuppe meines Zeigefingers polierte die Kuppe ihrer Weinbeere, aus der es unablässig heraussickerte. Anfangs hatte sie sich rauh angefühlt, bröckelig wie trockener, starrer Honig, der sich dann mehr und mehr erwärmte, sämig verflüssigte. Doris roch wie das feuchte Zeitungspapier, das Herr Pieper um die Fischstücke schlug, die die Mutter freitags briet.
Doris, rief ich und riß meine Hand aus der ihren. Doris! Stöh-nend preßte die Freundin die eigene Hand zwischen die Beine, Robert, Robert, bäumte sich auf und streckte sich. Ihr Gesicht, ihr Hals, ihre Brüste - Brüste, Brüste konnte ich jetzt, ohne zu stocken, sagen, sogar hinsehen konnte ich, hinsehen und gleichzeitig das richtige Wort dazu sagen ohne Angst, ohne Scham, bis zum Bauchnabel jedenfalls -, ihr Gesicht, ihr Hals, ihre Brüste glänzten rot. Der Mund stand offen, verzerrt. Doris, rief ich noch einmal und schüttelte sie. Der Blick, mit dem sie zurückkehrte, kam von weit her. Als er in meinen Augen anlangte, meinte er weder Robert noch mich.
Doris glitt unter meine Bettdecke und bedeckte meinen Oberkörper mit ihrem. Meine Mundhöhle fühlte sich ausgetrocknet und schorfig an. Gaumen und Zunge miteinander verklebt, pappig verschlossen, unmöglich, ein Wort hervorzubringen. Ihr Mund auf dem meinen, ich konnte nur durch die Nase atmen, ihr Gesicht ganz nah, der Geruch von kochender Milch auf ihrer Wangenhaut, Milch mit viel Zucker, angebranntem Zucker. Das Innere meines Mundes wurde feuchter, ich konnte die Zunge wieder bewegen, spürte etwas Weiches meine Lippen berühren. Züngeln, Engelszunge, Katzenzunge, Doriszunge schlüpfte in meinen Mund hinein, spielte mit meiner Zunge Fangen, Verstecken, Nachlaufen, jagte die Gaumenwand, Wangenhöhlen hinauf und hinunter, die meine hinter sich herziehend, Hündchen an der Leine, braves Tier, Zunge um Zunge, wo war meine Zunge, hielt Doris die meine, ich die ihre, anzüngeln, umzüngeln, speichelschwer. Aber das Spiel mit dem Zeigefinger ließ ich nicht zu. Dafür fehlten mir die Worte. Ich mußte zum Buchhändler. Dringend.
Am nächsten Morgen taten wir, als sei nichts geschehen, trödelten herum und hätten beinah den Bus verpaßt. Dann bestellte Robert Doris wieder in die >Bäume<. Von Monika Schwamm war nur noch einmal, Monate später, die Rede. Sie sei bei der Prüfung durchgefallen, im Praktischen, erzählte Doris beiläufig.
Vor der nächsten Beichte studierte ich den Beichtspiegel besonders sorgfältig. Daß Frauen sich wie Erwachsene küssen, stand in keinem meiner Bücher geschrieben. Auch im Beichtspiegel nicht. War das Sünde? Nein. Zu einer Sünde gehörte ein Mann. Konnteeine Frau mit einer Frau Unschamhaftigkeit treiben, Unkeusch- heit gar? Gab es ein Gebot, das verbot, was Doris' Hand mit der meinen tat? Wo kein Kläjer is, is kein Rischter, pflegte die Tante zu sagen. Gott klagte nicht, jedenfalls nicht im Beichtspiegel. Der Pfarrer mußte nicht richten.
Sigismund schmetterte ich nach dieser Nacht die Tischtennisbälle entgegen, als gäbe ich ihm die Kugel ins Herz. Wir schlugen Pfauenräder aus Wörtern und Sätzen, die kaum noch die Wirklichkeit streiften. Belauerten uns um jeden Fehler, wer gibt wem den Gnadenstoß. Seine Nähe verwirrte mich. Wahre Liebe war hoch, war hehr, war herrlich. Was ich empfand, war kläglich und unklar, beklemmend. Es machte mich klein statt groß, traurig statt froh, war eher lästig als willkommen. Ein klangvoller Vers konnte mich treffen mit physischer Wucht, mir Tränen in die Augen treiben wie der Anblick einer Sommerwiese, durch die der Wind in langen Zügen strich. Ich
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