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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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mich der flaumigen Umarmung hin. Die ersten Male hatte ich vorgegeben, mein Schlafzeug vergessen zu haben. Dann verstand Doris, daß ich mich meiner Nachtkleidung schämte, und legte mir eines ihrer Hemden heraus, deren Zartheit und kühle Frische ich genoß wie das glatte Laken, den schimmernden Überzug von Kissen und Daunenbett. Und die rauhe Seide der altrosa Stofftapete zu streicheln, bevor ich einschlief, versäumte ich nie.
    Doris ging als erste ins Bad. Ihr eigenes Bad. Ein Bad für sich allein. Folgte ich ihr, hatte sie schon alles für mich herausgelegt, meine Zahnbürste, die neben der ihren im Schränkchen stand, einem Hängeschrank mit Spiegeln, aufgeklappt noch ein dreiteiliger, in dem sich die rotbraun geäderten Marmorfliesen verwirrten. Kam ich zurück, saß Doris am Frisiertisch, kämmte ihr Haar oder cremte sich oder hatte sich hingelegt und folgte mir mit den Augen, wenn ich meinen Zopf löste, bürstete und aufs neue flocht.
    Heute lag die Freundin schon im Bett. Lag im Bett mit angezogenen Knien und blickte an die Decke. Komm, schnell, sagte sie und klopfte neben sich. Mach die Vorhänge zu. Sie wußte, daß ich es liebte, die goldenen Ringe vom Hals der Löwenköpfe zulösen, die Schlaufen zu halten und zu sehen, wie die schweren Bahnen zusammenrauschten, aus ihren Falten brachen und neue warfen, Licht und Schatten in den Wellen des Stoffes. Auf den kleinen Tischen neben dem Bett brannte Licht, blaßrosa Lampenschirme über hellgrünen Porzellanstengeln. Doris' bleiches Haar verschmolz mit dem weißen Kissen, ihr braunes Gesicht eine mattglänzende dunkle Maske, fremd und schön. Als sie die Lippen etwas öffnete, schien das rosa Licht der Lampen sich in ihrer Zungenspitze zu sammeln und die Farbe des nassen, dahin- huschenden Streifens zu vervielfachen.
    Komm, sagte Doris wieder. Wir hatten viel Platz in diesem aufgeklappten Doppelbett, wenn wir, jede Berührung vermeidend, die Gesichter einander zugekehrt, unter den Bettdecken zusammengekringelt, uns Geheimnisse anvertrauten, flüsternd, als könnte jemand lauschen. Heute blieb Doris auf dem Rücken liegen, drehte nur den Kopf in meine Richtung. Sie sah mich nicht an. Ergriff meine Hand, eine ruckartige Bewegung, eine Klammer, mit der sie meine Rechte unter ihre Bettdecke entführte. Ich spürte Haut und zuckte zurück. Doris' Hand hielt die meine fest. Hielt die meine mit der ihren bedeckt und lenkte die Doppelhand an ihrem Körper entlang. Doris war nackt.
    Es ging alles gut, solange ich Worte hatte für das, was sich mir in die Handfläche drängte. In den Büchern machten Hände im Nacken, an den Schultern, im äußersten Falle bei den Schlüsselbeinen halt. Dann tasteten nur noch die Augen über eine volle Büste, eine Wespentaille, einen zarten Knöchel, ein schlankes Bein, eine Wade. Und die Füße. Wie verlockend war ein Frauenfuß, als der Rocksaum noch die Fesseln umspielte!
    Verweilen mußte ich, solange es Doris' Hand, die die meine führte, gefiel. Schulter, dachte ich, Schlüsselbein, wollte dort anhalten, wollte nicht weiter, dorthin, wo das Verbotene anfing, das Unschamhafte, die Brüste. Brüste, dachte ich, Brust, Herz und Herzschlag, Herz und Herz, Schlag auf Schlag, Herz schlag. Herzschlag, dachte ich. Doris' Hand preßte die meine auf ihr Drüsengewebe, das ich nicht wahrhaben wollte, auf und ab pochend, Herzschlag, Herzschlag. Ich klammerte mich an diese Silben, neutrale Silben, sündlose Silben, Herzschlag, Herzschlag. Doris vollführte kreisende Bewegungen mit meiner Hand aufihrer Brust, und ich spürte, wie meine Barrikade aus Silben, Herzschlag, Herzschlag, zu bröckeln begann, wie die Poren meines Handinnern den Sieg über die Silben davontrugen, wie die Haut die Wörter überrannte, die weiche Spitze sich aufrichtete, hart in meiner Hand. Brustspitze, dachte ich, griff nach dem Wort wie nach einem Strohhalm. Nie, wenn Federicos Atem mich berührte, hatte ich auch nur sekundenlang gedacht, nicht an Wörter und nicht mit ihnen. Zitze, dachte ich jetzt, und versuchte, an Schweine zu denken, an Kühe, an Lore, unser Schaf. Aber es war doch Brustwarze. Brustwarze war das Wort, und ich stöhnte und preßte die Hand freiwillig fester auf Doris' Herz, bis sie mein Stöhnen erwiderte. Schnell ging es dann über Hüfte, Magen und Bauchdecke. Als könne ich Doris' Hand zum Stillstand bringen, buchstabierte ich die Wörter in meinem Innern. Bauchdecke, Bauchdecke, Oberbauch, Unterbauch. Aber Doris' Hand glitt weiter, die meine

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