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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Armbänder, Ringe und Broschen waren einfach nur teuer. Gleichmütig kehrte ich den Sächelchen den Rücken, ein Snob der Armut. Spargel schmeckt nicht.
    Bei C&A fuhren wir gleich in die Kinderabteilung, Jungmädchenkleider, Größe hundertzweiundfünfzig bis hundert- sechsundfünfzig. Sieben Kleider nahm ich in die Kabine mit; der Vater wartete und hatte keine Eile, die Verkäuferin rückte ihm sogar einen Stuhl zurecht. Sie war eine kleine Frau, rund und weich, mit der Stimme eines Menschen, der sich über gutes Essen freut.
    Wollt Ihr wat lesen? fragte sie den Vater, im gemütlichen Singsang der Stadt, und hielt ihm eine Zeitung hin.
    Nä, sagt? der Vater schroff und wandte den Kopf zur Seite, als hätte man ihm ein schmutziges Angebot gemacht.
    Na, dann nit, gleichmütig ließ sie das Blatt hinter der Theke verschwinden. Un jetz wolle mir mal kucken, wat dat kleine
    Frollein sisch ausjesucht hat! Die Verkäuferin half mir, liebevoll und ernst, als berate sie eine Tochter.
    Dat is nix, nä, dat is nix und dat och nit, streifte sie mir vier der sieben Kleider wieder vom Leib. Aber eins von die drei, die müßt Ihr nehme! Die sin alle drei schön. Ich stolzierte in einem blauen Hemdblusenkleid, einem grün-rot gemusterten Kleid und einem türkisfarbenen Pikeestaat mit drei weißen Lederschleifen zum großen Spiegel am Vater vorbei, der beifällig knurrte, wie ich ihn als Kind hatte knurren hören, wenn ihm das Pfropfen einer guten Obstsorte gelungen war. Langsam drehte ich mich vor dem hohen, dreiteiligen Spiegel einmal um mich selbst, warf den Zopf von der Brust nach hinten, stemmte die Arme in die Hüften, schob ein Bein nach vorn. Vergeblich versuchte ich auf dem Rückweg in die Kabine mit einem Lächeln den Blick des Vaters einzufangen; doch der sah nur auf einen Fleck irgendwo zwischen Gürtel und Halsausschnitt.
    Ich zog mein weinrotes Cordsamtkleid wieder an - der Rock war in drei Stufen gelegt, das Mädchen aus der Oberpostdirektion wuchs schneller als ich -, hängte die Kleider auf ihre Bügel zurück, hielt mir eines vor, das nächste, legte sie beiseite. Glaubte ich, mich entschieden zu haben, gefielen mir die verschmähten besser.
    Wofür ich das Kleid denn brauche, fragte die Verkäuferin, für Sonntag oder Werktag? Ich verstand die Frage nicht. Konnte man ein Kleid kaufen und dann anderntags damit in die Schule gehen, einfach so? Ohne die Weihen jahrelanger Sonntage, ohne deutliche Spuren feiertäglichen Verschleißes?
    Der Vater stand auf, schüttelte die Hosenbeine glatt. Seid ihr soweit?
    Sind die nit schön? gurrte die Verkäuferin statt einer Antwort. Da fällt de Entscheidung schwer. Welsches jefällt Ihnen denn am besten?
    Die Kleider sind jut, sagte der Vater. Alle drei. Mir nehme die. Alle drei.
    Nä, rief ich. Retav resnu, betete ich stumm, Ariam, ud tsies teßürgeg. Kein Teufel sollte diese Worte zurückholen. Stumm stand ich und verklärt, daß die Verkäuferin eine Kollegin herbeirief: Nu lurens, wie dat Kenk sesch freue kann.
    Auf dem Weg zur Kasse blieb der Vater stehen. Fast wäre mirein lautes Nema Tiekgiwe ni dnu entfahren. Mir wurde dunkel vor Augen, etwas hing dicht vor meinem Gesicht. Dat wolls de doch immer schon haben, hörte ich den Vater. Ich mußte niesen.
    Treck ens an! Es war ein Ledermantel. Und er paßte. Woher kannte der Vater meine Größe? Während ich den Mantel auf- und zuknöpfte, war meine Verkäuferin noch einmal zurückgekommen, mit drei Kolleginnen. Auch ein paar Frauen unterbrachen ihre Einkäufe und sahen zu, wie der Vater einer Puppe die rote Lederkappe abnahm und mir auf den Kopf setzte, einer anderen das bunte Tuch abknöpfte und mir um den Hals schlang. Die han woll em Lotto jewonne, hörte ich eine Frau der anderen ins Ohr zischen.
    Die Puppe trug eine Pepitahose. Dreiviertellang.
    Un die och noch, wies der Vater unsere Verkäuferin an, die sich sogleich an der Puppe zu schaffen machte. Wenn de Fraue en Männerkleider jehen, is dat Ende der Welt nahe, hatte die Großmutter lamentiert, als ich mir Vorjahren aus dem Sack der Oberpostdirektion eine Hose nehmen wollte, und Flicklappen daraus gemacht. Im kalten Winter dieses Jahres hatte ich eine Skihose tragen dürfen, mit dem Rock darüber. Als der Ohm zu Besuch gekommen war, hatte ich die Hose ausziehen müssen.
    Die dreiviertellange reichte mir bis auf die Knöchel und saß perfekt.
    Die Bochs tricks de an, wenn dä Ohm kütt, grinste der Vater voller Vorfreude auf das Gesicht der Großmutter.
    Un dä

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