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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Arbeitskollegen. Alle waren aus dem Häuschen. Die Großmutter bestellte ein halbes Dutzend Seelenmessen für den Großvater, die Mutter legte sich ein Sparbuch zum Prämiensparen an und kaufte zwei halbe Lose und ein ganzes, der Bruder durfte sich beim Dondorfer Fußballverein einen echten Leder-Turnier-Fußball bestellen.
    Mit mir fuhr der Vater nach Köln. Mit mir allein. Nur der Vater und ich. Es war sein Einfall. Tagelang suchte die Mutter, ihn davon abzubringen. Sie wollte mit, konnte sich nicht erklären, was plötzlich in >dä Josäff<, >minge Josäff< gefahren war. Ich auch nicht. Seit mich der Vater nicht mehr schlug, war ich mit ihm nie mehr allein gewesen. Wir gingen einander aus dem Weg. Ich freute mich und hatte Angst. Wie sollte ich mit dem Vater sprechen? Hochdeutsch? Plattdeutsch? Huhdüksch met Knubbele? Wovon sollten wir reden? Worüber? Mit der Mutter redete ich, um nichts von mir zu sagen. Sprach nach außen und innen zugleich. Stellte Mutmaßungen über Trudchens neue Erdbeersorte an, wägte Geschmack, Ertrag, Anfälligkeit gegen Schnek-ken und Pilz gegeneinander ab und spann im Kopf an meinen Geschichten weiter. Manchmal erzählte ich auch der Mutter eine. Seit sie mein Geheimnis mit Sigismund beschützte, hatten wir ein Thema: Männer und Frauen. Wer mit wem? Glück oder Unglück; Treue, Betrug, Krankheit, Gesundheit; Leben und Tod. Tränen vor Mitleid und Wut hatte die Mutter in den Augen, als Effis Tochter diese nach der Scheidung zum ersten Mal besuchen darf, abgerichtet wie ein Terrier. Dä Kääl hät ken Häz! knirschte die Mutter. Däm hät esch E 605 en de Ääzezupp jedonn. Lene Nimbsch dagegen fand ihren Beifall nicht. Schuster, bleib bei deinem Leisten, war ihre Meinung, und daß die Lene sich nicht hätte wegwerfen dürfen. Uber Werthers Leiden konnte sie nur lachen. Was hatte dä Kääl sich in eine Verlobung zu drängen? Und sein Selbstmord? Wäjen sujet erscheeß mer sesch doch nit, befand sie mit einer Entschiedenheit, die sie im wirklichen Leben selten aufbrachte.
    Doch dem Vater konnte ich mit Geschichten nicht kommen. Was interessierte ihn überhaupt? Nie sah man ihn mit einem Buch, einer Zeitung oder Zeitschrift, während die Mutter, wenn sie diese irgendwo mitnehmen durfte, Seite für Seite studierte, um sich in Einzelheiten von Liebesdingen der Königshäuser und Filmstarehen zu verlieren. Der Vater hörte Nachrichten, bevor er zur Arbeit ging. Sobald die Tür hinter ihm ins Schloß fiel, schaltete die Mutter das Radio wieder aus. Auch in seinem Schuppen hatte der Vater ein Radio, einen kleinen, beinah quadratischen Holzkasten, der wie unser großer Apparat beim Prinzipal ausrangiert worden war.
    Zum ersten Mal machte der Vater frei. Eine ganze Woche. Die Jahre zuvor hatte er die Zeit stets genutzt, um den Nachtwächter in dessen Urlaub zu vertreten. Morgens sank der völlig erschöpfte Mann dann in einen totenähnlichen Schlaf, wachte aber nach kurzer Zeit beim geringsten Geräusch auf. Wie vermeidet man in einem Haus, wenn mittags zwei Kinder heimkommen, jedes Knacken, Klappern, Scheppern, Rascheln, Knistern? Die Klingel wurde abgestellt, die Fensterläden geschlossen. Wir befanden uns in einem Belagerungszustand, nur lag der Feind im Inneren der Burg und konnte jederzeit explodieren.
    Einmal hatte der Vater den Nachttopf nach der Großmutter geworfen, als ihr, aus Versehen, aus Absicht, das wußte man nie genau, die Kellertür zugeknallt war. Die alte Frau duckte sich, der Inhalt des Topfes floß über die Treppe in den Flur, und die Mutter mußte schluchzend >Wat en Bescherung, wat en Bescherung<, alles aufwischen. So gut es ging. Im Filzbelag der Treppenstufen blieb der Geruch trotz scharfer Putzmittel und Kölnisch Wasser, das die Großmutter widerwillig beigesteuert hatte, lange hängen.
    Diesmal hatte der Vater richtigen Urlaub. Und ich einen freien Tag. Familienangelegenheiten, diktierte ich der Mutter für meine Entschuldigung.
    Am Abend vor unserer Reise reichte der Vater hoch oben in den Kleiderschrank und kam mit einem knisternden Paket zurück. Sorgfältig schob die Mutter das rosenholzfarbene Hemd aus der Zellophanhülle, vorsichtig zog sie eine Stecknadel nach der anderen aus den Falten und Kniffen des Stoffes, die das Hemd um eine Pappe spießten. Wir alle saßen am Küchentisch und sahen zu. Jojo, maulte die Großmutter, nobel jeht die Welt zujrunde. Sie verzieh dem Vater nicht, daß er keinen Pfennig für die Heidenkinder des Ohm herausrückte.
    Das

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