Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
Straße, und oft war es nun in unserer Küche abends so voll, daß die Nachbarn Klappstühle mitbringen mußten.
    Der Vater hatte den Schlüssel. Meist schloß er den Kasten zur >Tagesschau< auf. Vom griechischen Götterhimmel wußte ich mehr als von Politik. Götter waren schön, unterhaltsam und beflügelnd. Politiker sahen alle gleich aus, sprachen wie Lehrer und langweilten. Nur Adenauer gefiel mir. Der, dachte ich, macht es wie ich, spricht nicht richtig hochdeutsch und nicht richtig kölsch, so verstehen ihn die huhe Diere un de kleine Lück. Was immer er sagte, klang harmlos und gemütlich. Ich saß zum ersten Mal vor der >Tagesschau<, als er meinte, ein Mann namens Eichmann solle mit aller Härte bestraft, seine Verbreschen un- nachsischtisch aufjedeckt werden.
    Die Gestalt eines hageren Mannes wurde gezeigt, die Kamera fuhr nah auf sein Gesicht, in dem kaum die Augenlider hinter den Brillengläsern zuckten. Dieser Mann sollte an der Ermordung unzähliger Juden schuldig sein, sagte die Stimme der Nachrichtensprecherin, eine angenehme, unbeteiligte Stimme. Zusammen mit dem nichtssagenden Gesicht des Beschuldigten erschien die ungeheuerliche Anklage fast als Lüge, zumindest aber maßlos übertrieben. Schreckliche Bilder folgten. >Nacht und Nebel< fiel mir ein, Abel und Lenchen Herz, Tietz fiel mir ein, und wie wir in seinem Laden Russisch Ei gegessen hatten und Kotelett. Ich sah den Vater an. Der nickte mir flüchtig zu und schaute weg. Ich hatte verstanden.
    Auf Leichenberge folgte das amerikanische Präsidentenpaar. Die schöne Jackie trug einen runden flachen Hut und hielt einen Pudel im Arm. Ihr Mann stieg aus einem Flugzeug. Erschöpft und unsicher lächelten Flüchtlinge aus der Zone an der Kamera vorbei. Zum Schluß ein Autorennen. Dann kamen die Nachbarn zur Sendung Wünsch dir was!<, und ich zog mich in den Holzschuppen zurück.
    Ostern wurde die Küche zu klein. Neben Verwandten und Nachbarn hatte sich noch ein knappes Dutzend Mitglieder des Frauenvereins bei uns versammelt. Die Tür zum Flur stand offen, Schulter an Schulter lagen wir auf den Knien, mit angewinkelten Armen das Kreuzzeichen schlagend, als der Papst aus dem Fernseher heraus den österlichen Segen spendete, urbi et orbi, Stadt und Land, dem ganzen Erdball von Rom bis in Palms Küche, Dondorf, Altstraße zwei.
    Bööscher? Nä, hatte der Vater gesagt. Aber ich bekam eine Zahnspange. Schon vor einem Jahr hatte der Schulzahnarzt den Eltern einen Brief geschrieben. Wortlos hatte der Vater ihn der Mutter zum Vorlesen gegeben. Neunhundert Mark, hatte sie gejapst und, als traue sie ihren Augen nicht, das Papier dicht vor die Nase gehalten. Neunhundert Mark waren, was der Vater in drei Monaten verdiente, und obwohl die Mutter mit dem Pfennig rechnete, Putzen ging, Heimarbeit machte und der Garten uns beinah ernährte, waren wir, bevor der Vater am Wochenende der Mutter die Lohntüte auf den Tisch zählte, im Manko. Neunhundert Mark! Ebensogut hätte der Schulzahnarzt vorschlagen können, die Mutter solle Stroh zu Gold spinnen.
    Die Zahnspange bestand aus zwei, dem Unter- und dem Oberkiefer angepaßten Plastikplatten, die weit in den Gaumen hineinreichten. Gebißplatten mit Drähten wie Gitterzäune sollten die Zähne in die richtige Richtung drehen und den Kiefer dehnen. Sprach ich, klang das, als wäre ich mit einem Mund voll heißer Kartoffeln kurz vorm Ersticken. Jeder Zisch- und Zahnlaut löste von s über sch bis z, von t bis d mehr oder weniger heftiges Speichelsprühen aus. Ich war glücklich. Ohne Abitur.
    Geld war das Zaubermittel, mit dem man sich die Erde Untertan machen konnte. Mag sein: Im Anfang war das Wort: der Geist. Jetzt war das Geld an der Reihe. Weder Wörter noch Geist konnten Berge versetzen. Geld konnte es. Wörter hatten den Vater nicht verwandeln können. Aber Geld. Geld war eine wunderbare Sache. Es machte, daß der Vater mit mir sprach wie ein Vater. Es machte, daß der Vater aus mir eine Tochter machte. Seine Tochter. Geld machte aus dem Vater einen Vater. Geld machte, daß Köppers Fritz, der unser Dach neu decken, und Schreinermeister Kranepohl, der Treppe und Türen erneuern sollte, auf der Straße Hut und Kappe vor dem Vater zogen. Als erste und in hohem Bogen. Ein Bogen, der sich bei Kranepohl kurze Zeit später sichtbar verkürzte, als der Vater das Birkenfurnier wieder abbestellte und der Geselle nur noch mit der Schablone eine Maserung auf die Sperrholzverkleidung malte.
    Allein die Großmutter ließ Geld

Weitere Kostenlose Bücher