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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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ließ das K den Rest im Stich, muhte das uh dumpf hinterher.
    Aus den Haushalten, wo sie putzte, brachte die Mutter alte Illustrierte mit. Die Romane darin waren das einzige lange Wörterstück ohne lästige Fotos.
    Ich saß beim Hühnerstall und reihte mit lauter, ausdrucksloser Stimme die Wörter des Fortsetzungsromans aus der >Hör zu< aneinander, als sich plötzlich die Stimme der Mutter durch meinen Wörterverschlag bohrte, ihn zum Einsturz brachte.
    Nä, hür sesch dat ener an. Sie entriß mir die Zeitschrift, schlug erregt mit dem Handrücken auf das Papier, hielt mir das Blatt scheltend vor Augen. Die Zeichnung zeigte einen dunkelhaarigen Mann im Arztkittel und eine Frau mit wilden Locken und tief aufgeknöpfter Schwesterntracht, die resolut einen Arm um den zögerlich dreinblickenden Doktor schlang. Im Hintergrund rückte eine schlicht gekämmte Frau im Kostüm Blumen in einer Vase zurecht.
    Wat fällt dir en, sujet ze läse, henger mingem Rögge [19] . Doför bes de doch noch vell ze kleen. Wo häs de dat nur her. Die Mutter klatschte mir die Zeitung um die Ohren. Waat, bes dä Papp no Huus kütt.
    Su un jitz wolle mer sinn, ob isch Räät** han, sagte die Mutter, nachdem wir am Abend unsere Graubrotschnitten mit Blut- und Leberwurst verzehrt hatten. Papp, hol dat Hellijebooch. Das Heiligenbuch.
    Isch jlöv et nit, sagte der Vater, so jet jiddet doch ja nit. Wo soll
    **Rechtdat Weet dat dann her han. Doch nit us dä Scholl. Die künne doch noch ja nit so wick sin [20] .
    Der Vater blies den Staub vom Goldschnitt des Buches und legte den schweren Band auf meine Knie. Er war noch warm vom ewigen Licht.
    Jitz zesch ens, wat de kanns, brummte der Vater mißtrauisch. Der Großvater nickte mir ermutigend zu. Jelobt sei Jesus Christus, sagte die Großmutter. Loß jonn.
    Ich klappte das Buch irgendwo auf. Das Bild, eine ganze Seite, zeigte einen nackten Mann auf einer Art Gitter, darunter brannte ein Feuerchen. Er hatte keine Haut mehr.
    Die schwarzen Zeichen waren denen, die ich kannte, ähnlich. So, wie ein Schuppen einer barocken Kathedrale ähnlich ist. Ich hatte keine große Mühe, meine Zeichen in ihrer Verkleidung wiederzuerkennen, doch war ich von ihrem Aufputz hingerissen, wie man von einem verrückten Hut, einem prächtigen Kopfschmuck oder ähnlichem fasziniert ist, so daß ich vor jedem G, H in stumme Bewunderung verfiel, was meine Lautbildung ins Stocken brachte.
    Na also, lachte der Vater gequetscht. Su jut kann esch dat och. Läse! Er zog die Nase hoch, rückte den Hosengürtel zurecht.
    Die Mutter war wütend, glaubte, ich stelle mein Licht mit Absicht unter den Scheffel. Der Großvater nahm mir das schwere Buch von den Knien. Wat soll dat Kenk met su nem Verzäll [21] ? brummte er. De Huck afftrecke beim lebendige Liev und dann op däm Füer brode. [22] Dat es doch nix für Kenger!
    Wat kallst du, erregte sich die Großmutter. Dat es e Hellijebooch! Dat es jut für jede, dä jedöv es. Getauft ist.
    Der Großvater schwieg. Ich spitzte die Ohren. Was hatte ich da gelesen? Gehäutet worden war einer und dann gebraten? Also hatten diese Laute eine wirkliche Bedeutung. Derheiligeaufdemrost meinte wirklich einen Heiligen auf dem Rost. Wort und Ding mußten aufeinanderliegen, dann hatte der Wortlaut einen
    Sinn. Erst das Begreifen der Einheit von Schrift, Laut und Wirklichkeit, erst das war Lesen.
    Als alle in den Betten lagen, schlich ich an meinen Tornister. Kein Zweifel, die roten und goldenen Linien auf dem Buchstein des Großvaters waren Buchstabenschlaufen, waren Wörter. Hildegard, las ich die goldene, Palm, die rote Spur.
    Mit dem Lesen als Laute lesen, Laute ohne Bedeutung, war es vorbei. Die Laute ließen sich von dem, was sie ausdrückten, nicht mehr trennen, Laut und Sinn durchdrangen einander für immer. Wenn ich jetzt die Bedeutung eines Wortes nicht kannte, machte mich das unglücklich, unruhig wie eine verschlossene Tür, hinter der märchenhafte Schätze der Entdeckung harrten.
    Auch das Schreiben von Wörtern, die es doch alle schon gab, kam mir seit jenem Abend nicht mehr überflüssig vor. Wenn die gedruckte >Kuh< gleich der gesprochenen >ku:< für alle Kühe der Welt steht, alle vergangenen und zukünftigen Kühe, so geht das auch umgekehrt. Ich schreibe >Kuh< und habe alle Kühe der Welt. Ich schreibe >Mutter<, und mir gehören die Mütter aller Länder und Zeiten. Kann mir Mütter nach Herzenslust bilden nach meinem Bilde. Aus Wörtern. Ich schreibe >Vater< und stelle Josef Palm in

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