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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Verrat.
    Die Zeit der Buchsteine war vorbei. Abends im Bett warf ich dem Bruder Wörter zu. Wir spuckten sie aus, saugten sie ein, machten sie groß und klein, dick und dünn, laut und leise. Wörter waren da, wie die Steine am Rhein, das Gras in den Wiesen, soviel und wann immer man wollte. Aus der Luft konnte man sie greifen und wieder in Luft auflösen. Mutter, Butter, Kutter-wir entdeckten den Reim. Wenn er nicht weiterwußte, stellte ich ein neues Wort.
    Für das Wörterumkrempeln war der Bruder noch zu klein. Aber ich saß vor meiner Tafel und kratzte aus der >Maus< einen >Saum<, ein >am< und ein >um< und ein >aus<, und als ich schließlich eine >Sau< rauskriegte, rannte ich durch den Garten und schrie: Die Sau, die Maus, Sau in der Maus, rannte und schrie wie von Sinnen. >Sau< war ein verbotenes Wort, ein schmutziges Wort, und jetzt steckte es klammheimlich in der harmlosen Maus. Nicht zu fassen, wunderbar.
    Die groben Wörter taten mir leid. Pisse, Kacke, Dreck. Ichsuchte nach dem Zarten, Unantastbaren in ihnen, dem Prinzen im Frosch. Freute mich am >Eis< aus der >Pisse<, dem >Ei<; dem >Tier< und dem >Teer< aus >Eiter<, nur die >Kacke< blieb, was sie war.
    Eine Zeitlang durchwühlte ich jedes Wort nach verborgenen Mitwörtern, kaum ein Wort ohne heimliche Mitwörter, stolz sah ich, wie sich aus meinem heiligen Taufnamen ein Adler schwang.
    Welch ein Entzücken, als ich die Macht der einzelnen Selbstlaute und Mitlaute entdeckte, als ich begriff, daß es ein lumpiges i war, das aus der Tante Tinte, die Mulde milde, aus Taschen Tische machte. Wie in Trance ging ich umher, schaffte aus dem Hund eine Hand, dem Schluß ein Schloß, aus der Hülle eine Halle, eine Hölle. Täglich stöberte mich die Mutter beim Hühnerstall auf, ich solle spielen gehen. Aber während ich mit den anderen Kindern in der Gärtnerei die Komposthügel hinauf- und hinunterjagte, mich in einer umgestülpten Zinkbadewanne oder zwischen Stapeln von Blumentöpfen versteckte, murmelte es in meinem Kopf, Gut, Blut, Schnut, Tut, Hut; Klippe, Kippe, Hippe, Lippe; dumm, krumm, bumm. Und welch ein Triumph, als ich, er kam von der Arbeit und schob das Fahrrad durchs Tor, den >Papa< in >Pipi< ersäufte.
    Kolumbus war es egal, ob auf einem neuen Kontinent Palmen, Birn- oder Tannenbäume wuchsen. Mich kümmerte nicht, was ich las. Mit Frau Peps unterm Arm, das Heiligenbuch auf beiden Händen wie ein Meßbuch balancierend, schwelgte ich hinterm Hühnerstall in Gedrucktem. Oft trug mir die Großmutter das schwere Buch sogar hinterher. Als es kälter wurde, durfte ich ihr in der Küche daraus vorlesen. Zufällig, und die Zufälle häuften sich, je flüssiger ich las, zufällig kamen dann Frauen aus dem Bonifatius- oder dem Frauenverein vorbei. Angeblich, um sich nach einer Hochzeit, Beerdigung oder Taufe zu erkundigen. Ich saß am Tisch und las; die Frauen hörten zu, und die Großmutter kriegte vor Stolz auf die fromme Enkelin rote Bäckchen, als hätte sie ein paar Gläschen von ihrem Aufgesetzten getrunken.
    Was mich am Heiligenbuch fesselte, war keineswegs der vorbildliche, mit guten Werken gespickte Lebenswandel seiner Vertreter. Einzig Männer und Frauen, die eines gewaltsamen Todes ums Leben gekommen waren, lockten mich, Hauptsache, es gingdabei blutrünstig zu. Kopf ab oder im Verlies verschmachten reichte nicht. Laurentius ohne Haut auf einem zischenden Eisenrost, von Schergen mit glühenden Eisenzangen gezwickt, oder die heilige Clementia, ihre abgeschnittenen Brüste auf einem Teller vor sich hertragend, wobei das Blut aus den Wunden wie aus einem Zapfhahn schoß, das gefiel mir. War der irdische Vater, der mit den harten Händen, dem Stöckchen hinter der Uhr, dem Hosengürtel aus Leder und Stahl, diesem Gottvater im Himmel, der zusah, wie seine Kinder von Pfeilen durchlöchert, von Löwen zernagt, gerädert, gevierteilt, zerfetzt wurden, nicht zum Verwechseln ähnlich?
    Anfangs besprach ich diese Geschichten mit Frau Peps. Doch je beredter das Gedruckte zu mir sprach, desto weniger hatte sie zu sagen. Schließlich schwieg sie ganz. Eine Weile klemmte ich sie mir noch untern Arm, versuchte hin und wieder, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Doch Frau Peps war zur Tasche geworden. Und die Tasche blieb eine Tasche. Eine Tasche, die nicht mehr zuging, speckig, abgetragen, zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich verscharrte sie beim Haselnußstrauch.
    Im Lauf der Jahre hatte ich das Christkind in immer engere Verbindung mit den Eltern gebracht. Zu häufig

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