Das verborgene Wort
über die Schultern fallen. Sie wohnte allein in einem schönen Haus, sehr ähnlich dem der Frau Bürgermeister. Ich besuchte sie; nie sie mich. In ihrem Wohnzimmer nahmen wir als zwei feine Damen am Kaf-feetisch Platz. Juten Tach, Frau Peps, sagte ich, Juten Tach, juten Tach, wurde des Grüßens, das mir im Alltag kaum über die Lippen ging, nicht müde. Frau Peps erzählte ich alles. Wußte sie wirklich nicht, daß die Großmutter gestern abend, als es ihr Mühe machte, das Kleid übern Kopf zu ziehen, dies mir nichts, dir nichts von oben bis unten einfach aufgeschnitten hatte. Jawohl. Und jetzt mußte die Mutter die Kanten säumen, Knopflöcher machen, Knöpfe annähen, und das alles mit der Hand. Ich erzählte ihr vom Vater, den man besoffen nach Hause gebracht hatte, einfach vor die Haustür gestellt, geschellt und abgehauen. Wie ein Stein sei er in den Flur gefallen und beinah noch auf die Mama drauf, als die ihm die Tür aufgemacht habe. An die Wand sei die Mutter gesprungen, den Kopf habe sie sich am Kleiderhaken blutig geschlagen und Josäff! geschrien. Nicht so laut, sagte dann Frau Peps, und ganz leise erzählte ich weiter. Vom verschwundenen Kaninchen, der gestorbenen Katze, dem geschlachteten Schaf.
Einmal, erzählte Frau Peps, war sie Eis essen in Süß' Eisdiele. Im silbernen Becher drei Kugeln, Schokolade, Vanille, Nuß, mit einem langen Löffel und einer Waffel. Ganz langsam habe sie das Eis gegessen, jedes Häufchen erst im Mund zerschmelzen lassen, bis sie geschluckt habe. Als die anderen fertig waren, habe sie noch die Hälfte im Becher gehabt. Doch die anderen seien ungeduldig geworden. Ein Mann, der meinem Vater sehr ähnlich gesehen habe, sei mit seinem Löffel in ihren Becher gefahren. Josäff! habe die Frau neben ihm geschrien, aber es sei schon zu spät gewesen. Mit zwei, drei Bissen habe er das ganze Eis verschluckt. Wir waren uns einig, mit so einem Mann wolle man nichts zu tun haben, dem gehörte eine Tracht auf den nackten Popo. Der gehörte von der Erde weggehauen.
Manchmal wurde Frau Peps müde. Dann packte ich mit dem linken Arm meine rechte Schulter und rüttelte sie wach. Oder sie tat mir sehr, sehr leid. Einmal hatte sie eine der guten Sammeltassen zerbrochen, die mit dem Vergißmeinnicht, ähnlich der, die mir aus der Hand gefallen war, weil mich der Bruder gestoßen hatte, versehentlich, als ich der Mutter beim Abtrocknen half. Dafür hatte es ein paar an die Backen gegeben von der Mutter, rechts und links ein paar, und abends noch einmal vom Vater mitdem Stöckchen hinter der Uhr. Wie tat sie mir leid, die arme, verhauene Frau Peps mit den Scherben der Tasse Vergißmeinnicht. Nicht weinen, Frau Peps, nicht weinen, murmelte ich in die dunkle Öffnung der Tasche hinein und streichelte meinen Kopf, bis Frau Peps ganz ruhig wurde und ich mit dem Gesicht auf der Tasche einschlief.
Vergangenes Jahr wäre Frau Peps fast gestorben. Es war an einem Nachmittag im Oktober, die Schatten der Bäume und Häuser wuchsen schon über Bäume und Häuser hinaus. Längst waren die Bohnen geerntet, die letzten Gurken und nun auch die Kartoffeln. Der Vater harkte das Laub zusammen. Er trug seinen blauen Drillich, die Hosen in Gummistiefeln. Der Bruder schleppte mit seinen Fingerchen eine Kartoffelstaude nach der anderen auf den großen Haufen. Noch war er wie ein Mädchen gekleidet, braune Löckchen bis auf die Schultern.
Wööd Zick, wird Zeit, dat die affkumme, sagte der Vater immer wieder, wenn er dem Bruder ungeschickt durchs Haar fuhr. Aber die Großmutter murmelte dann etwas von einem Engelchen, und die Mutter war ohnehin der Ansicht, besser, ich wäre als Junge, der Bruder als Mädchen geboren.
Ich saß mit Frau Peps in einiger Entfernung unterm Haselnußstrauch auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer und trank Kakao aus einer Nußschale mit Tulpenmuster. Haarklein erzählte ich ihr, was ich heute mittag gegessen hatte, wie viele Kartoffeln, drei, und zwei Löffel Bohnen und ein bißchen rote Soße aus der Dose vom Hering in Tomatenmark, die sich der Vater mit dem Großvater geteilt hatte. Frau Peps schien nicht sehr interessiert. Eher an Birgits Geburtstag. Die Großmutter hatte mir verboten hinzugehen: Jebootsdaach fiere [8] mer nit, mir fiere Namens- daach. Ävver von däm Minsch, Minsch war die Mutter von Birgit, kann mer jo nix anderes erwade. Dat hät jo ne Evanjelische jehierod. Birgits Mutter hatte einen strammen, rotblonden Ostfriesen geheiratet, der sogar zur See gefahren war. Er
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