Das verbotene Eden 01 - David & Juna
erschaffen.«
David hob verwundert die Brauen. »Von Menschen? Aber wie kann das sein? Welchen Sinn sollte das haben?«
»Nun, es gab damals Betriebe, die sich durch die Verbreitung eines neuen und relativ harmlosen Virus einen besseren Verkauf ihres Gegenmittels versprachen. Diese Betriebe waren riesig. Man nannte sie
Pharmakonzerne,
und sie hatten genügend Mittel, um eine solche Krankheit künstlich zu erschaffen. Womit sie nicht rechneten, war, dass das Virus sich veränderte –
mutierte
– und dass daraus eine tödliche Krankheit entstand.«
David verstand immer noch nicht. »Sie meinen, sie haben dieses Virus erfunden, um es hinterher bekämpfen zu können?«
»Um ihr Mittel verkaufen zu können, ganz recht. Es ist pervers, ich weiß, aber so war die Zeit damals. Alles drehte sich nur um Geld. Den Menschen war vollkommen gleichgültig, was nach ihnen mit der Welt geschah. Hauptsache, sie konnten in Saus und Braus leben. Das Virus mutierte, geriet außer Kontrolle und breitete sich mit katastrophalen Folgen über die ganze Welt aus. Alles, was den Geschlechtern aneinander schön und begehrenswert erschien, wurde ins Gegenteil verkehrt. Männer und Frauen wurden zu Todfeinden.«
David schüttelte den Kopf. Dieser ganze Konflikt, dieser Krieg – war von Menschen gemacht? Unvorstellbar.
Eines war ihm jedoch immer noch nicht klar. »Und warum heißt es dann, die Frauen seien an allem schuld? Könnte es nicht sein, dass die Geschlechter gleichermaßen für die Katastrophe verantwortlich waren?«
»Ganz sicher war es so. Aber man sah es als hilfreich an, jemanden zu finden, auf den man seinen Hass und seine Enttäuschung projizieren konnte. Schon seit jeher festigen Herrscher ihre Macht dadurch, dass sie einen Sündenbock finden, der für alles, was falsch läuft, die Schuld trägt. Aber solche Gedanken sollte man lieber nur dann aussprechen, wenn man sicher ist, dass einen niemand belauscht.« Er sah sich um.
»Dann sind die Hexen vielleicht gar nicht so schlimm, wie man uns das einzureden versucht?«
Stephan zuckte die Schulter. »Ich kann es dir nicht sagen, ich bin schon sehr lange keiner Frau mehr begegnet.«
David schwieg betroffen. Die Geschichte hatte ihn tief berührt. Er hatte viel über den Zusammenbruch gehört, aber noch niemals in dieser Klarheit. Die Kirchenobersten verstanden sich gut darauf, Tatsachen mythologisch zu verbrämen und als Gleichnis zu präsentieren. Was, wenn die Hexen ganz normale Menschen waren? Er erschrak über seine ketzerischen Gedanken, aber sie ließen ihn nicht mehr los. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er den Wunsch, einer leibhaftigen Frau gegenüberzutreten.
5
J una beobachtete, wie Camal vom Himmel herabstieß und pfeilgerade auf sein Ziel zuschoss. Sie konnte nicht erkennen, auf was er es abgesehen hatte, aber sie wusste, dass sich ihr Falke nicht mit Mäusen oder Ratten abgab, das hatte sie ihm abtrainiert. Als sie die langen Ohren und zappelnden Läufe sah, wusste sie, dass er ein Kaninchen erbeutet hatte. Rasch lief sie über die Wiese, nahm ihm den Fang ab und brach dem Nager mit einem geschickten Griff das Genick. Dann steckte sie ihn in ihren Rucksack. Später war genügend Zeit, um ihn ausnehmen und ihm das Fell abzuziehen. Sie strich Camal über den Kopf und gab ihm etwas aus ihrem Futterbeutel. Nachdem er zwei Brocken des faulig stinkenden Fleisches heruntergewürgt hatte, stieg er wieder auf.
Sie schaute sich um. Zeit zu gehen. Sicher würden bald die Männer kommen, um das Kind zu holen, und sie hatte keine Lust, ihnen zu begegnen.
Der Kreis der Verlorenen lag am äußersten Rand einer großen Wiese, hinter der düster der Wald aufragte. Geräusche von Baumfällarbeiten drangen von weit her an ihr Ohr. Der Kreis selbst war ein sanft gewölbtes steinernes Rund von vielleicht fünf Metern Durchmesser, das früher mal ein Springbrunnen oder etwas Ähnliches gewesen sein mochte. In der Mitte befand sich ein Sockel, der an ein Taufbecken erinnerte. Dorthinein hatte sie den Säugling gelegt und in das Horn gestoßen, das seitlich danebenhing. Das Ganze war jetzt drei Stunden her. Der Kleine strampelte und schrie. Juna nahm die Milchflasche aus ihrem Rucksack und hielt sie ihm an den Mund, doch er schob den Sauger immer wieder heraus. Ein Milchfaden lief seitlich seinen Mundwinkel hinab. Hunger hatte er offenbar keinen, aber was wollte er dann? Als sie die Nase über ihn hielt, wehte ihr ein süßlicher Gestank entgegen.
Auch das
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