Das verbotene Eden 01 - David & Juna
waren der einzige Hinweis, dass überhaupt jemand anwesend war. Stephan hob die Hand zum Gruß, dann ging er langsam weiter. Offenbar war ihm nicht an einem Gespräch gelegen. Die Arbeiter blickten finster hinter ihnen her. Es war ein ziemlich verwegen aussehender Haufen. Einige von ihnen waren von Kopf bis Fuß tätowiert.
»Clanmitglieder«, flüsterte Stephan, als sie weit genug entfernt waren. »Sie unterstehen den Warlords, die über die Außenbezirke herrschen. Unorganisierte Söldner, die in Höhlen, Stollen und Ruinen hausen. Wir leben zwar in Frieden mit ihnen, das kann sich aber jederzeit ändern, wenn die Lebensmittel knapper werden. Der Inquisitor sprach davon, einen Pakt mit ihnen zu schließen, doch die Vorstellung macht mir Angst. Die Clans sind durch ihre barbarische Grausamkeit und ihren Hang zur Selbstverstümmelung bekannt.«
»Selbstverstümmelung?«
»Männlichkeitsrituale. Mutproben und körperliche Züchtigungen. Es ist eigenartig, was Männer alles tun, um ihre Männlichkeit zu beweisen. Du solltest dankbar sein, dass uns der Glauben vor derlei heidnischem Unsinn schützt.«
David nickte. Er hörte diese Geschichte zum ersten Mal. Offenbar hatte er wirklich keine Ahnung, was draußen in der Welt vorging.
»Es ist nicht mehr weit«, sagte Stephan. »Der Kreis liegt gleich hinter den Bäumen dort.«
Einige Minuten später hatten sie den Ort erreicht. Sie verließen den Wald und schoben ihre Kapuzen zurück. David musste seine Augen gegen die plötzliche Helligkeit beschirmen. Vor ihnen lag eine Wiese, in deren Mitte ein steinerner Sockel stand. Seine Spitze war mit einem Farnwedel bedeckt.
Stephan und David standen eine Weile ruhig am Rande der Lichtung und sondierten die Lage. Grimaldi hielt schnuppernd die Nase in die Luft. Nichts rührte sich.
»Ich glaube, die Luft ist rein.« Der Bibliothekar packte seinen Stab und marschierte los. David folgte ihm mit gespannter Erwartung. Hoch über ihnen zog ein Falke seine Kreise. Als sie den Sockel erreichten, hob Stephan den Farnwedel an. Der Säugling lag auf dem Rücken und schlief. Ein kleiner Beutel hing seitlich an einem Befestigungshaken.
Stephan prüfte den Inhalt. »Milchflasche, Leinentücher und ein Beruhigungssauger. Man könnte fast den Eindruck bekommen, den Hexen sei am Wohlbefinden des Kleinen gelegen.«
»Warum nicht? Ich meine, es ist ein Baby.«
»Es ist vor allem ein Junge. Aber du hast recht. Vielleicht ist das andere Geschlecht doch nicht so böse, wie ihm nachgesagt wird. Dass sie ihn allerdings hier alleine zurücklassen, wo Wölfe und Bären sich an ihm gütlich tun können, spricht nicht gerade für sie. Na ja, wir sind zum Glück rechtzeitig gekommen. Hier ist er also, unser kleiner Hoffnungsschimmer. Seit einem Jahr das erste Baby.« Er nahm den Kleinen in den Arm. »Scheint kräftig und gesund zu sein.« Der Säugling wachte sofort auf. Mit großen Augen schaute er auf die beiden fremden Menschen.
»Hallo, mein Kleiner. Na, gut geschlafen?« Stephan kitzelte ihn unter dem Kinn. David musste lächeln. Das Baby war wirklich süß. »Wie soll er denn heißen?«
»Ich werde ihn Matthäus nennen. Diesen Namen gibt es noch nicht in unserem Kloster. Außerdem hieß einer der zwölf Apostel so. Damit dürfte ihm der Schutz unseres Herrn gewiss sein. Komm, pack alles ein, wir wollen schnell zurück.«
*
Juna bemerkte die zwei Männer, noch ehe sie ganz auf die Lichtung hinausgetreten waren. Ein alter und ein junger. Sie trugen keine Masken, wie die Teufel es sonst zu tun pflegten, sondern graue Kutten mit Kapuzen, die sie zurückzogen, sobald sie ins Helle traten.
Der Alte war bestimmt über fünfzig, hatte eine Brille auf der Nase und einen Kranz grauer Haare. Der Junge war ein Stück größer und hatte kurze dunkle Haare. Er wurde von einem Hund begleitet, der ihm nicht von der Seite wich. Es war bei weitem das hässlichste Tier, das Juna je gesehen hatte. Eine krummbeinige Mischlingstöle, der man förmlich ansah, wie bissig sie war. Zum Glück hatte sie ihren Standort mit Bedacht gewählt, der Köter hätte sie sonst sofort gerochen.
Nachdem sie eine Weile gewartet und sich genau umgesehen hatten, gingen die beiden auf den Sockel zu. Unter dem Farnwedel war es seit einer guten halben Stunde ruhig. Das Baby schlief vermutlich. Die Männer betrachteten es verzückt, und Juna konnte den jüngeren näher in Augenschein nehmen. Er musste etwa in ihrem Alter sein. Etwas Unbekümmertes lag in seinen Zügen, fast sogar
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